Routentipp

NÖRDLICHER GRAFENSTEIG

Des Schneebergs Umrundung, erster Teil, mit Nächtigung im Berghaus Hochschneeberg

Morgens um sieben Uhr fahre ich „überʼs Wasser“, wie Einheimische die Fahrt durch das Flusstal der Sierning nennen. Ich bin aufgeregt, weil eine der schönsten Wanderungen der Alpen vor mir liegt – die zweitägige Umrundung des Schneebergs. Ein Zimmer hat mir Jaroslav Stastny, Chef des Berghauses Hochschneeberg, schon reserviert – das „inklusive Veranda, Dusche und Sonnenaufgang“, wie er am Telefon sagte. Wie Luxus pur fühlt sich das an und wie ein „Abenteuer“!

In Losenheim nehme ich den Anstieg rechts der Skipiste über Wiesen und durch einen Wald. Ich freue mich über die schönen Ausblicke auf die Burg Losenheim und das in der Morgensonne lodernde Gelb und Orange der Bäume. Eine Stunde später bin ich auf der Edelweisshütte. Auf ihrer aussichtsreichen Terrasse zu frühstücken verspreche ich mir für ein anderes Mal. Diese Terrasse hat man zu überqueren, um zum Beginn des Nördlichen Grafensteigs zu gelangen. Sein Name erinnert an Ernst Graf Hoyos-Sprinzenstein (1830–1903), dem im 19. Jahrhundert ein Großteil des Schneebergs gehört hatte. Er ließ den „Nördlichen Grafensteig“ als Jagdsteig anlegen. Dessen südliches Pendant folgte aus touristischen Gründen viel später. Des Grafen Sohn, Ernst Karl der Jüngere, war Großwildjäger und Abenteurer. Er bereiste Grönland, Indien, Somalia und die Mongolei – und verspielte den Schneeberg im Casino von Monte Carlo (mitgeteilt v. Norbert Toplitsch). Typisch für den Nördlichen Grafensteig ist der Wechsel weiter Waldpassagen mit Geröllkaren – den „Riesen“. Entsprechend facettenreich ist das Gehgelände. Schwierig ist die Begehung keineswegs, aber Ausdauer und eine gewisse Trittsicherheit sind erforderlich. Der ÖTK betreut den Weg und hat ihn verlässlich rot markiert.

Schon eine Viertelstunde nach der Edelweisshütte überquere ich die Lahning Ries – eine schmale, vor allem im oberen Bereich sehr steile, felsbegrenzte Rinne, die bei Tourenskifahrern beliebt ist. Ihren Namen hat sie von dem, was Gebirgsbewohner am meisten fürchten – die Lawine oder Lahn. Die erste Gehstunde verläuft überwiegend durch Fichten und Buchenwald. Typisch für den Nördlichen Grafensteig sind aber die vielen Lärchen. Im Schatten leuchten ihre Nadeln kupfer-, in der Sonne goldfarben. Das und die Ausblicke freuen besonders.

Am Abzweig zum Nandlgrat vorbei wandere ich zur Bürkle- Hütte, der Diensthütte der Bergrettung Puchberg. Auf ihrer sonnigen Terrasse jausnend, schaue ich direkt auf die Breite Ries, das gewaltigste Kar des Schneebergs. Ein Vogel zwitschert, der Wind rauscht, die imposanten Felstürme des Vestenkogels ragen kalkhell in den tiefblauen Himmel. Ich genieße das Privileg, über der Nebeldecke zu sein, die das Land jenseits des Puchberger Beckens verhüllt. An klaren Tagen aber leuchtet der Schnee in diesem Kar bis nach Wien und viel weiter – es ist ein vertrauter und ein erhabener Anblick sowie einer, der einen sehnsuchtsvollen Sog hat auf die Liebhaber der Berge ... Von den vielen Abfahrten, die den Schneeberg zu einem veritablen Ski-Berg machen, ist die Breite Ries zweifellos die berühmteste: ein mächtiges, vom Gletscherfluss der letzten Eiszeit geformtes Geröllkar, das man am Nördlichen Grafensteig quert. Zudem war sie in der Geschichte des Skisports ausschlaggebend: Der Lilienfelder Lehrer Mathias Zdarsky adaptierte Technik und Fahrstil der nordischen Skifahr-Tradition für das steile Alpengelände, fand aber keine Anerkennung. Daher lud er Protagonisten der „Norwegertechnik“ zum vergleichenden Skifahren ein. Als Schauplatz des für ihn entscheidenden Wettbewerbs wählte er diese Steilabfahrt. Tatsächlich fuhren der spätere Holmenkollensieger Hassa Horn junior und Zdarsky am 5. Jänner 1905 die Breite Ries. In Folge wurde Zdarsky als „Begründer der alpinen Skifahrtechnik“ (vgl. Mehl 78) anerkannt und Puchberg zum „Chamonix der Alpen“.

Im mittleren Wegteil bis zum Oberen Herminensteig überwiegt felsiges Gelände. Insgesamt leicht ansteigend wandere ich unter den Rieswänden vorbei,über die Krumme Ries, vorbei am Abzweig zum Novembergrat über den Schneidergraben. Der Weg bietet viele schöne Ausblicke, vor dem malerischen Felsensemble namens Sitzstatt scheint er direkt ins weite Land hinauszuführen. Während der nächsten fünf Viertelstunden dominieren Lärchen, Fichten und Latschen die Route.

Unweit der Station Baumgartner trifft der Weg auf die Trasse der Zahnradbahn. Nun wandere ich eine Stunde lang den kahlen, sonnigen Bergrücken hinan. Nur Lärchen und hellgraue, knöchern wirkende Baumstrünke ragen aus seinem semmelblonden Gras. Ich genieße die Sonne, den formidablen Ausblick auf die Bahntrasse und die aus dem Nebelmeer ragenden Berge im Süden – Gahns, Feuchter, Rax, Sängerkogel, Kreuzberg, Stuhleck, während am bergseitigen Horizont das Elisabethkirchlein in das Himmelsblau ragt. Nach sechs Stunden Gehzeit und 1000 Meter Aufstieg bin ich oben – und gebannt vom Panoramablick ins Puchberger Tal von der Terrasse des Berghauses! Bevor ich einen Abendspaziergang mache, beziehe ich mein Zimmer neben dem nach einem prominenten Gast benannten: Peter Handke.

Am Waxriegel erlebe ich das faszinierende Schauspiel des Sonnenuntergangs und der ihm nachfolgenden Stimmung.
Nach einem Besuch im Elisabethkirchlein kehre ich im Finstern ins Hotel zurück. Dort komme ich mit einer Kitzbühlerin ins Gespräch. Die erfahrene Wanderin ist wie ich allein unterwegs. Da essen wir gemeinsam und haben uns viel zu erzählen.
Im Zimmer dann ist es warm und die Dusche eine Wonne!

  • Eva Gruber
  • Semmering, Rax und Schneeberg
  • Die schönsten Wanderungen in den Wiener Alpen
€ 23,00
Franz. Broschur
14,5 x 20,5 cm; 192 Seiten
ISBN 978-3-222-13654-2
Erscheinungstermin: 20/02/2020
Sofort lieferbar

Höhenausflüge mit Tiefgang: ein Wander-Verführer

Genussvoll, intensiv und sinnlich – so präsentiert Eva Gruber die sorgfältig ausgesuchten und zu allen Jahreszeiten selbst erprobten Wanderungen, mit denen sie uns in die Zauberwelt von Rax und Schneeberg und das UNESCO-Weltkulturerbe des Semmeringgebiets führt. Es ist der Duft, der Klang und der Anblick der Berge, an dem sie uns teilhaben lässt.
Die attraktiven Touren bieten magische Wandererlebnisse: Plateaus mit großartigen Ausblicken, schroffe Felsen, romantische Schluchten und idyllische Almen. Liebevoll porträtiert Eva Gruber die Landschaft, in der sie „daheim“ ist. Sie erzählt von der Natur und persönlichen Erlebnissen, von Geschichte und Kultur ihrer Heimatregion, gibt verlässliche Tipps fürs Einkehren und Übernachten und überrascht so auch Kenner des Gebietes mit zahlreichen neuen Eindrücken und Hinweisen.

• Die attraktivsten Bergerlebnisse in Wien-Nähe neu entdeckt
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• Die liebevollste Hommage an die Wiener Alpen!

Eva Gruber wuchs in einer Schwarzataler Bergsteigerfamilie auf und studierte Germanistik und Anglistik in Wien. Als Autorin und Landartistin setzt sie sich mit dem Thema Naturlandschaft auseinander – in Form von Fußreisen, Landart-Installationen im öffentlichen Natur-Raum, Publikationen, Ausstellungen und Vorträgen.

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Semmering, Rax und Schneeberg

€ 23,00
Franz. Broschur
14,5 x 20,5 cm; 192 Seiten
ISBN 978-3-222-13654-2
Erscheinungstermin: 20/02/2020
Sofort lieferbar
9783222136542 - Semmering, Rax und Schneeberg
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