Einblicke ins neue Programm der Styria Buchverlage
Was treibt ein gutes Verlagsprogramm im Jahr 2025 an? Welche Themen sind gesetzt, welche überraschend – und was macht ein Verlagsteam eigentlich nachts um zwei? Unsere Geschäftsführer:innen Elisabeth Stein-Hölzl und Matthias Opis geben im Interview offen Auskunft über den Entstehungsprozess unseres aktuellen Herbstprogramms: über Bücher, die sie ihrem 18-jährigen Ich empfehlen würden, Projekte, bei denen das Bauchgefühl entschied, und Grenzen, die selbst ein potenzieller Bestseller nicht überschreiten darf. Ein Gespräch über Verantwortung in Zeiten von KI, über leise Bücher mit großer Wirkung – und über das richtige Maß an Risiko.
Was war der rote Faden beim Zusammenstellen des Herbstprogramms?
Matthias Opis: Das Programm der Styria Buchverlage für Herbst 2025, so wie es jetzt in der Vorschau präsentiert wird, ist das Ergebnis eines „Findungsprozesses“ nach neuen Ideen und guten Geschichten, der in einem Verlag niemals zum Stillstand kommt. Um es mit Heraklit zu sagen: „Panta rhei!“ („Alles fließt!“).
Und wenn ihr das neue Programm in drei Worten beschreiben müsstet – welche wären das?
Elisabeth Stein-Hölzl: Female Empowerment – History at its best – Health and Longevity!
Welche Titel im neuen Programm lassen euch nachts nicht schlafen – aus Begeisterung oder aus Nervosität?
Opis: Chapeau! Eine Frage aus dem „Beichtspiegel“ für Verleger:innen … Das Hirn kommt in unserer Branche tatsächlich schwer zur Ruhe. Immer und überall könnte die nächste große Sache darauf warten, von uns entdeckt zu werden. Das ist auch um zwei Uhr nachts möglich …
Gibt es ein Buch im Programm, das ihr jeweils heimlich auch für euch selbst gemacht habt?
Opis: Ganz ehrlich: Diese Bücher mache ich erst in jenem Programm, bevor ich in Pension gehe. Da muss Elisabeth besonders gut auf mich aufpassen 😉!
Stein: Ich dachte, Verleger:innen gehen nicht in Pension?!
Jetzt wird es spannend! Worüber hat man im Vorfeld am meisten diskutiert? Welche Fragen stellen sich eigentlich beim Organisieren eines Herbstprogramms?
Opis: Siehe oben. Das nächste Programm ist immer das wichtigste. Und es ist immer ein Kompromiss zwischen unseren Ambitionen und Möglichkeiten, wobei wir versuchen, den Ambitionen jedes Mal ein Stückchen näher zu kommen.
Wie verändert sich eure Programmplanung etwa durch den steigenden Einfluss von BookTok, Selfpublishing und digitalen Plattformen? Generell: Wie verändert Künstliche Intelligenz das Sachbuch – als Thema, aber auch in der Produktion? Hat GPT schon einmal ein Exposé geschrieben?
Stein: Viele Verlage haben in der letzten Zeit eigene Imprints in dem Feld Young Adult lanciert. Für uns war das keine Option, weil wir uns auf eine andere Zielgruppe fokussieren. Ich finde es toll, wie BookTok der Branche viele neue Leserinnen beschert, und die Chancen stehen gut, dass diese jungen Frauen dem Medium Buch die Treue halten werden, wenn sich ihre Interessen weiterentwickeln.
Opis: Natürlich nutzen auch wir Chat GPT für unsere Verlagsarbeit. Aber unsere Bücher werden nicht mit KI, sondern mit Herzblut geschrieben. Und dabei wird es auch bleiben.
Gibt es Titel, die kalkuliertes Risiko sind? Und gibt es welche, mit denen ihr bewusst auf Sicherheit setzt?
Opis: Das Verlagswesen war immer von Mischkalkulationen geprägt, und so ist es auch heute noch. Wenngleich der Spielraum für Experimente, die es in der Kreativbranche braucht wie das Wasser in einer Oase, immer enger wird. Bei uns ist jedes Projekt im betriebswirtschaftlichen Sinne kalkuliert – aber der Markt entscheidet, ob die Kalkulationen realistisch waren.
Welches Buch aus dem neuen Programm würdet ihr jeweils eurem 18-jährigen Ich schenken – und warum?
Opis: Für mich wäre das: „We are Austria“ von Nina Pavicsits. Meinem 18-jährigen, sehr männlichen und noch lesefaulen Ich hätte diese Horizonterweiterung jedenfalls gut getan.
Stein: Ich würde mich für Gitta Jacobs 52 Sätze, die weiterbringen, entscheiden. Ein Buchprojekt in Kooperation mit der ZEIT, die ihre Leser:innen um Sätze gebeten hat, die ihnen aus ihren Therapiegesprächen als besonders hilfreich hängen geblieben waren. Unsere Autorin hat dann 52 dieser Sätze ausgewählt, einen für jede Woche des Jahres, und sie so kontextualisiert und mit Übungen angereichert, dass sie einen auch ganz ohne Therapiesitzung weiterbringen …
Welche Rückmeldungen von Lesenden oder Buchhändler:innen aus dem jüngsten Programm (ob Herbst oder Frühjahr) haben direkt Einfluss auf das aktuelle gehabt?
Opis: Verlegerische Arbeit hat ganz viel mit Lesen und Zuhören zu tun. Wir legen Wert auf die noch so kleinste Rückmeldung: Von Buchhändler:innen, von Kolleg:innen aus den Medien, von Autor:innen … Deshalb starten wir jetzt auch mit der Präsentation unserer Bücher auf Tik Tok und NetGalley.
Welcher Titel im neuen Programm wäre eurer Meinung nach vor zehn Jahren undenkbar gewesen – und warum?
Stein: Ganz eindeutig: „Der Darm der 100-Jährigen“. Dieses Buch beruht auf der Analyse von tausenden Stuhlproben (unser interner Arbeitstitel lautete: „Langlebigkeit beginnt auf dem Klo“) und ist in seinen Erkenntnissen frappant, ja geradezu revolutionär. Dieses Projekt hat das Zeug zu einem Bestseller, der uns hilft, gesund alt zu werden.
Was macht für euch ein gutes Sachbuch im Jahr 2025 aus – und was hat sich gegenüber z.B. 2019 grundlegend verändert?
Opis: Da muss ich hinterfragen: Was ist ein gutes Sachbuch für Dich? Viele der sogenannten Sachbücher, die auf den Bestsellerlisten landen, sind „Quickies“ ohne inhaltliche Substanz und Relevanz. Unser Anspruch ist ein anderer. Wir wollen unseren Leser:innen einen Mehr-Wert bieten …
Welche gesellschaftlichen oder intellektuellen Themen wolltet ihr mit diesem Herbstprogramm denn bewusst setzen – und welche haben sich fast von selbst aufgedrängt?
Stein: Wir selbst sind ja bloß Anreger:innen, Kurator:innen und Sounding Board für unsere Autor:innen. Unsere Autor:innen sind doch die wahren Held:innen unseres Programms. Menschen, die von einer Leidenschaft, einer Mission angetrieben sind, die sie mit anderen, möglichst vielen anderen teilen wollen.
Sachbuchprogramme spiegeln oft Zeitgeist und Weltlage. Würdet ihr sagen, euer neues Programm ist eher Diagnose, Therapie oder Provokation?
Opis: Ich finde, in unserem Herbstprogramm sind alle drei Dimensionen gut vertreten: Zeitdiagnose (Oliver Rathkolbs „Ökonomie der Angst“), Therapie (Barbara Strohscheins „Anerkennung ändert alles“) und auch Provokation (Jürgen Gießings „Reverse Aging“). Mir selbst liegen besonders auch die leisen, fast zärtlichen Bücher am Herzen wie Proschat Madanis „Leben spielen“ und Stefan Maiwalds Buch über den Winter an der Adria. Gänsehaut und Sehnsucht pur!
Gibt es ein Thema, bei dem ihr dachtet: ‚Das ist eigentlich durch‘ – und dann hat es euch doch wieder gepackt?
Stein: Die Habsburger sind in Österreich nicht totzukriegen … aber im Ernst: Wenn eine Koryphäe wie der Historiker Roman Sandgruber sich dieses Themas annimmt, kann man ganz sicher sein, dass man auch Neues und Überraschendes lesen wird!
Wie navigiert man als Verlag durch den Strom neuer Narrative, Identitäten, Krisen? Gibt es für euch so etwas wie einen moralischen Kompass beim Sachbuch? Und was macht für euch ein Sachbuch dringlich – also so, dass man es jetzt lesen muss?
Opis: Danke, dass die Frage nach dem moralischen Kompass gestellt wird, empfinde ich in Zeiten der moralischen Entfesselung als Wohltat. Ja, diesen Kompass gibt es für uns tatsächlich. Erst kürzlich haben wir ein Projekt abgesagt, das kommerziell vielversprechend war, dem wir aber aus bestimmten ethischen Gründen nicht zustimmen konnten. Und diese Gründe haben wir auch offengelegt und kommunziert.
Matthias, weil du gerade schon von „fast zärtlichen“ Büchern gesprochen hast: Gibt es einen „Hidden Champion“ im neuen Programm – ein leises Buch mit großem Potenzial?
Opis: Ja, siehe oben: Proschat Madani ist eine wunderbare Schauspielerin und eine wunderbare Autorin!
Was ist eigentlich die größte Unwahrheit, die man über die Arbeit an einem Verlagsprogramm glaubt?
Stein: Dass alles mit Absicht geschieht!