Kunst aus Österreich - ein Künstlerportrait

Adolf Frohner

Ein polarisierender Aktionist der ersten Stunde sieht Kunst nicht als ästhetischen Rückzugsort. Seine Bilder zeigen eine Wirklichkeit, die auch hässlich sein kann.

© (c) Michael Horowitz Bild vergrößern Foto: (c) Michael Horowitz

„Achtung! Erregung öffentlichen Ärgernisses!“, warnt ein Schild vor dem Eingang in der Perinetgasse 1 in Wien-Brigittenau. Im feuchten Keller des Hauses wollen Künstler auf die verkrusteten Strukturen der Gesellschaft aufmerksam machen.

Mit exzessiven Orgien.

Darunter der Blutorgel, einer Einmauerungsaktion, die als Beginn des Wiener Aktionismus gilt. 

Vom 1. bis 4. Juni 1962 riegeln Otto Muehl, Hermann Nitsch und Adolf Frohner den Ausgang des Kellerlokals mit einer Mauer ab und frönen der schrankenlosen Enthemmung. Man wolle „Dummheit und Intoleranz mit Blasphemie, Sadismus und Obszönität bekämpfen“. In Exerzitien soll „Die von Krieg und Propaganda vergiftete Kunst einen neuen Sinn bekommen, sinnlicher werden und Tabus brechen … die ganze Materie des Kosmos wollen wir verwandeln … und Alkohol soll den Körperpanzer sprengen“.

Im Jahr der Einmauerungsaktion in jenem Wiener Keller – Frohner hat sich bald wieder davon distanziert – findet die erste Ausstellung seiner Objekt- und Aktionskunst in Wien statt. 

Wiederholte Male reist er während der 1960er Jahre nach Paris, lernt Jean Dubuffet kennen, beobachtet die aktuellen Kunstströmungen – und saugt sie auf, wie den Nouveau Réalism, dessen Ziel es ist, den erhabenen Status der bildenden Kunst zu sprengen und mit gefundenen Materialien die Realität des täglichen Lebens in die Kunst zu integrieren. Es entsteht eine völlig neue Verbindung von Leben und Kunst: radikal und antibürgerlich.

Von Pierre Restany und Daniel Spoerri, dessen Mitarbeiter er in seinem Pariser Atelier ist, beeinflusst, sucht Frohner selbst auch bald mit seinen markanten Materialbildern Antworten auf die Wirklichkeit. Und entdeckt schonungslos die Ästhetik des Hässlichen wie mit seinen Hackbildern, Gerümpelplastiken oder der Skulptur mit abnehmbaren Busen. 

Bereits während der späten 1960er Jahre finden Frohners erste internationale Ausstellungen statt; 1969 ist er auf der Biennale São Paulo und 1970 auf der Biennale von Venedig vertreten, wo er mit monumentalen Ölbildern überrascht. Bald konzentriert sich Frohners Werk auf Bilder von malträtierten, weiblichen Körpern: Gefesselte, vergewaltigte Frauen als Allegorie der Gewalt dominieren seine Arbeit und erregen in der Öffentlichkeit Aufsehen.

Seine Bilder erinnern an seine Anfangszeit im Aktionismus. Rot, die Farbe des Bluts, bleibt in seinen expressionistischen Bildern immer dominant. Frohner sieht Kunst nicht als ästhetischen Rückzugsort. Er will Tabus radikal aufbrechen. Aufrütteln und  provozieren.

Adolf Frohner ist auch ein künstlerischer Selbstdarsteller. Wie auf dem Foto Natürliche Verformung, das sein Gesicht verzerrt zeigt: Die Wange gegen ein Glasfenster gedrückt, die Hände auf dem Herzen verschränkt. Ein immer wiederkehrendes Thema ist die Beziehung der Geschlechter wie bei Gib mir den Schuh Eva, bei dem er als Adam die lasziv lächelnde Eva verführen will. 
Ab 1972 lehrt der Autodidakt Frohner an der Wiener Universität für angewandte Kunst, wo ihm früher „wegen mangelnder Eignung zur Malerei“ die Aufnahme verwehrt worden war. 

Vehement bekämpft Frohner den traditionellen Schönheitsbegriff. Er ist überzeugt, Kunst müsse nicht ästhetisch ansprechend sein: „Die Wirklichkeit, die ich herstelle, ist die Wirklichkeit, die uns alle betrifft – die auch hässlich sein kann. Kunst ist notwendig für die Menschen, denn sie werden zu ihrer Mensch-Bleibung ständig durch Schönheit provoziert.“

Der gewissenhafte Künstler legt sich jahrelang ein Archiv der Sexualität, des Voyeurismus an: Aus Illustrierten und Pin-up-Magazinen schneidet er Fotos von Frauen in erotisch-exhibitionistischen Posen aus, um sie später in seinen Bildern zu verarbeiten. 

„Wenn mich auch die Weltkunst manchmal fasziniert hat, hat sie mich nicht besonders beeinflusst. Ich habe aus Europa wenig hinausgedacht oder hinausgefühlt. Die Venus von Willendorf war mir immer näher als etwa die Kunst der Maya oder die der Inder“, stellt Adolf Frohner lapidar fest. 

Im Winter 1934 in der Nähe von Gänserndorf geboren, will er schon als Kind Maler werden. Sein Zeichenlehrer regt ihn an, grau-triste Mauerflächen, von denen es im Marchfeld genügend gibt, bunt anzumalen. Jahrzehnte später überrascht Frohner Passanten mit Wandbildern wie am Flughafen Schwechat oder mit seiner 40-Meter-Kunstwand „Circa 55 Schritte durch Europa“ in der Wiener U3-Station-Westbahnhof. 

Frohners Vorbilder sind zunächst Cézanne und Picasso, Leger und Klee. Seine künstlerische Prägung erfährt er als Schüler in den legendären Abendakten Herbert Boeckls. Untertags arbeitet er als Auslagenarrangeur und Kunstkritiker, Wäschezusteller und Werbegrafiker. Sein Mentor Boeckl initiiert ein UNESCO-Stipendium, das ihm seinen ersten Paris-Aufenthalt ermöglicht. 

Adolf Frohner ist ein sinnlicher Mensch. Er liebt das Leben. Ein Rotweinglas ist immer in seiner Nähe. Von seinen bacchantischen Atelierfesten in der Wachau, in seinem Haus am Jauerling,  sprechen seine Freunde heute noch.

Immer wieder verschwindet er, wenn es in Wien grau, gatschig und ungemütlich wird, für ein paar Tage nach Venedig. Oder auch nach Sylt. 

Zu früh ist das Leben des 72-Jährigen hemmungslosen Hedonisten zu Ende. Eines Aktionisten der ersten Stunde. Eines kulturpolitisch wachsamen Menschen. Einer polarisierenden, prägenden Figur der österreichischen Kunstszene. Fünf Tage vor seinem überraschenden Tod erfolgt der Spatenstich zum „Frohner Forum“ im Minoritenkloster in Krems-Stein, an dem er auch selbst teilnimmt. Er wünscht sich, die Bezeichnung Museum soll vermieden werden, da ein Museum nur Verstorbenen gewidmet werden sollte. 

Die Realität holt Adolf Frohner ein. 

 

(c) Michael Horowitz, FLEISCH. ÖL AUF LEINWAND, 1975

 

  • Michael Horowitz
  • Kunst aus Österreich
  • 50 Menschen, die das 20. Jahrhundert prägten
€ 28,00
Hardcover
17 x 24 cm; 224 Seiten
ISBN 978-3-222-15064-7
Erscheinungstermin: 11/10/2021
Sofort lieferbar

Von der Secession zur Postmoderne

Vom exzessiven Enfant terrible Egon Schiele bis zu den „Körpergefühlsbildern“ der Maria Lassnig, von Adolf Loos, dem provokanten Wegbereiter der modernen Architektur, bis zu Friedensreich Hundertwasser, dem weltweit hoch gehandelten Meister der Fantasie: In den pointierten Kurzporträts seines neuen Kompendiums präsentiert Michael Horowitz 50 Künstlerinnen und Künstler Österreichs. 50 Menschen, die das 20. Jahrhundert prägten. Maler und Bildhauer, aber auch Architekten, Kunsthandwerker, Objektkünstler und Aktionisten, die weit über die Grenzen des Landes für Furore sorgten.

Ein Buch als Reiseführer durch die grossartige österreichische Welt der Kunst.

• Die bedeutendsten Künstlerinnen und Künstler Österreichs entdecken und wiederentdecken
• Endlich mitreden können: Pointierte Porträts und wegweisende Hauptwerke
• Ein reich bebildeter Reiseführer durch die Welt der Kunst

Michael Horowitz ist Fotograf, Journalist, Schriftsteller und Verleger. Der Autor von Biografien, u. a. über Helmut Qualtinger, H. C. Artmann und Leonard Bernstein, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit österreichischen Künstlerinnen und Künstlern. Mit manchen von ihnen ist er seit längerer Zeit befreundet. Zuletzt erschien im Molden Verlag von Michael Horowitz der Band „100 Menschen, die Österreich bewegten“. Gemeinsam mit Otto Schenk veröffentlichte er zum 90. Geburtstag des Schauspielers „Schenk. Das Buch“.

Blick ins Buch

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Kunst aus Österreich

€ 28,00
Hardcover
17 x 24 cm; 224 Seiten
ISBN 978-3-222-15064-7
Erscheinungstermin: 11/10/2021
Sofort lieferbar
9783222150647 - Kunst aus Österreich
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