Die vergessenen Seelen

Was blieb von der Jahrhundertbaustelle auf der Kärntner Seite des Karawankenbahntunnels? Der Friedhof ist fast verschwunden, die Kapelle zerschossen und im alten Krankenhaus residiert der Teufel.

© (c) Helmuth Weichselbraun Bild vergrößern Foto: (c) Helmuth Weichselbraun

Es heißt, dass man den Teufel nicht an die Wand malen soll. Aber was, wenn doch? Vor uns hängt er an der Wand, in gleich zweifacher Ausfertigung, und spielt gegen sich selbst Karten. „Ist der da schuld?“, frage ich Peter Knes und zeige auf das Bild mit dem zockenden Satan. Der Hausbesitzer schüttelt belustigt den Kopf: „Die Bude ist einfach alt.“ So kann man es natürlich auch sagen. Aber schöner klingt: Das Gebäude hat eine bewegte Geschichte.

Das verlassene Haus bei Rosenbach ist Überbleibsel einer Großbaustelle der Donaumonarchie.

Es wurde als Krankenhaus für die Männer errichtet, die wenige Hundert Meter entfernt zwischen 1901 und 1906 den Karawankenbahntunnel bauten. Sie hatten einen gefährlichen Job.
Immer wieder gab es Steinschläge oder Wassereinbrüche, manchmal mit tödlichen Folgen. Die Verunglückten wurden auf einem eigens angelegten Friedhof beerdigt, er befand sich auf der Anhöhe hinter dem Krankenhaus. 1903 errichtete man dort eine Kapelle. Allein auf Kärntner Seite arbeiteten mehr als 2000 Menschen auf der Jahrhundertbaustelle.

Sie kamen aus ganz Europa und wurden, vorsichtig formuliert, von der einheimischen Bevölkerung nicht immer willkommen geheißen. Chroniken berichten, dass die Fremden, vom Volksmund „Baraber“ genannt, durch ihre „Wesensart“ das bisher ruhige Dorfleben „beeinflussten“.
Mit schlimmen Folgen: „Die Moral der Einheimischen sank, was man verdiente, verbrauchte man wieder, viele verfielen der Trunksucht.“
Nach der Eröffnung 1906 wurde es – wahrscheinlich auch zur Freude mehrerer Chronisten – vorübergehend ruhig um den 7,9 Kilometer langen Karawankenbahntunnel, wenn man von den Zügen absieht, die zwischen Rosenbach und Aßling (heute: Jesenice) immer öfter durchrauschten.

Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs war das eine innerösterreichische Verbindung, danach standen sich hier plötzlich zwei Staaten mit überschneidenden Gebietsansprüchen gegenüber.
Am 25. November 1918 drangen 400 Soldaten des späteren Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS-Staat) durch den Tunnel nach Kärnten ein und besetzten das obere Rosental bis zum Südufer der Drau.

Kärnten startete mit freiwilligen Verbänden eine Gegenoffensive: den sogenannten Abwehrkampf.

Zu heftigen Gefechten kam es vor allem um Arnoldstein, Ferlach und den Karawankenbahntunnel, der am 4. Mai 1919 wieder von den Kärntnern eingenommen werden konnte. Vorher rangen die Gegner um jeden Meter. Sie kämpften auch auf dem Areal des Friedhofs für die verstorbenen Tunnelarbeiter oberhalb des inzwischen aufgelösten Krankenhauses. Die Kapelle wurde dabei schwer beschädigt und geriet danach als Ruine in Vergessenheit.

Es sollte fast 100 Jahre dauern, bis dieser Lost Place wieder ins öffentliche Interesse rückte.
Die Initiative dazu ging von Grundbesitzer Peter Janežic aus. „Wir haben überlegt, die Kapelle wiederaufzubauen“, erzählt der Biolandwirt. „In Gesprächen mit dem Bundesdenkmalamt hat sich dann aber herausgestellt, dass eine Konservierung sinnvoller ist.“

2016 wurde der weitere Verfall gestoppt. Man drückte die Pausetaste, um die Ruine weiter eine Ruine sein zu lassen. „Als wesentlicher Bestandteil des Bauwerks ist die Geschichte seiner Zerstörung lesbar geblieben: Mauern ohne Dach, Fassade ohne Neuverputzung und die Einschusslöcher“, sagt Geraldine Klever vom Bundesdenkmalamt.

Die Mauern mit den Einschusslöchern sind ein Denkmal für den Frieden. Im Inneren der Kapelle hat man eine Gedenktafel angebracht. Sie erinnert zweisprachig an die 22 hier beerdigten Menschen, bei denen es sich nicht nur um Tunnelarbeiter gehandelt hat, sondern auch um verstorbene Angehörige. Unter ihnen befanden sich vier Totgeborene und drei Opfer von Gewalttaten wie Messerstechereien. Womit wir wieder beim Teufel sind, der unten im alten Krankenhaus hängt. Er gehört zur Dekoration der seit Jahren geschlossenen Jausenstation, die das Gebäude zuletzt beherbergt hat.

Hausbesitzer Knes ist hier aufgewachsen. Er zeigt uns, wo er sich als Kind mit bunt bemalten Händen auf der Außenmauer verewigt hat. Um das leer stehende Haus kümmert er sich, so gut er kann. Käufer war und ist keiner in Sicht. Es liegt nicht nur am Alter des Gebäudes, meint Knes und fasst dann die Geschichte von Tunnel, Krankenhaus und Friedhof mit einem Satz zusammen: „Mir persönlich ist es da zu kalt.“

€ 28,00
Franz. Broschur
16,8 x 24 cm; 208 Seiten
ISBN 978-3-222-13681-8
Erscheinungstermin: 30/08/2021
Sofort lieferbar

Zeitzeugen zwischen Alpen und Adria

Zwischen Alpentälern und Adriaküste kommt man den Wechselfällen der Geschichte am besten an jenen Lost Places auf die Spur, die abseits touristischer Highlights ihre Patina bewahrt haben und sich gegen den Verfall stemmen: in ausrangierten Bahnhöfen und überwucherten Ruinen, längst geschlossenen Fabriken und unseligen Kriegsrelikten, tiefen Stollen und verlassenen Hotels.

Georg Lux und Helmuth Weichselbraun laden in ihrem aktualisierten Bestseller dazu ein, selbst nachzuspüren und zu entdecken: Mit fantastischen Fotos, die die Orte in ihrer ganzen Vergänglichkeit zeigen. In unterhaltsamen Texten, die in die Geschichte eintauchen lassen. Und natürlich direkt vor Ort – mit vielen Geheimtipps für alle Lost-Places-Fans.
Aus den Inhalt:
• Rätsel um die verschwundene Dobratsch-Höhle
• Die zerschossene Kapelle der vergessenen Seelen
• Ewige Blutspur auf Schloss Waldenstein
• Endstation für den alten Grenzbahnhof von Tarvis
• „Staatsbesuch“ auf Titos rostiger Jacht
• Im geheimen NATO-Kommandobunker im Kanaltal
• Kanufahrt durch das geflutete Bergwerk von Mežica
• Das verlassene Alcatraz in der Adria
• Alle Zimmer frei im Park Hotel Obelisco bei Triest

• Vergessene Orte, versteckte Ecken und fantastische Bilder entdecken
• Abenteuerliche Spurensuche in Kärnten, Friaul, Slowenien und Kroatien

Georg Lux und Helmuth Weichselbraun hatten sich den Lost Places schon verschrieben, bevor diese zum Trend wurden. Sie begeistern sich für die Geschichten hinter verfallenen Orten und vergessenen Stätten – immer auf der Suche nach dem Unbekannten. Hauptberuflich sind sie beide bei der „Kleinen Zeitung Kärnten“ aktiv: Georg Lux als Mitglied der Chefredation, Helmuth Weichselbraun als Redaktionsfotograf.

Blick ins Buch

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Lost Places in der Alpen-Adria-Region

€ 28,00
Franz. Broschur
16,8 x 24 cm; 208 Seiten
ISBN 978-3-222-13681-8
Erscheinungstermin: 30/08/2021
Sofort lieferbar
9783222136818 - Lost Places in der Alpen-Adria-Region
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