Wien für Fortgeschrittene

Französisches Flair, Geschichte und Kultur Spaziergang für Leib und Seele

Malerische Gassen, gepflegte Zinshäuser, gemütliche Plätze. Paradies für Feinschmecker.
Biologische Speisen aus aller Welt, handgeschöpfte Schokolade, Feinkostläden, Alt-Wiener Küche und kleine Cafés
oder Spezialitätenrestaurants. Die berühmte Berggasse 19, in der Sigmund Freud hinter der Couch saß. Ein nur selten zugängliches Kunstmuseum des Fürsten von Liechtenstein. Der älteste jüdische Friedhof Wiens.
Große Bühnenkunst in kleinen Theatern, eine literarisch verewigte Stiege.
Die summerstage am Donaukanal für Kunstinteressierte, Gourmets, Sportliche und Fans von feinen Live-Konzerten oder einem ruhigen Spaziergang off-season. Ein Turm für Narren.

Rund um die verlorene Couch
Ich fahre die Rolltreppe im Jonasreindl hinauf zur Währinger Straße.
Korrekt heißt der Verkehrsknotenpunkt Schottentor, zehn Straßenbahnlinien und die U-Bahn-Linie 2 treffen hier zusammen.
Das Schottentor war eines der Stadttore Wiens, bis es 1860 mit der Stadtmauer dem Ring weichen musste.
Seinen Spitznamen erhielt es wegen der ovalen Form und zu Ehren des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Franz Jonas,
in dessen Amtszeit das Reindl eröffnet wurde – im Jahr 1960. Reindl. Wienerisch für einen kleinen Topf bzw. eine Kasserolle.
Gegenüber steht unübersehbar die Votivkirche. Es komme schon vor, dass Wien-Unkundige diesen gewaltigen Bau für den Stephansdom hielten, schmunzelt der nahe gelegene Fleischer meines Vertrauens, bei dem ich für eine Vorbestellung kurz haltmache. Ein Dom allemal: als Ringstraßendom oder auch Dom vom Alsergrund, dem neunten Wiener Gemeindebezirk, bezeichnet.
Erbaut zum Dank für die Errettung Kaiser Franz Josephs I. vor einem Attentat, kräftig unterstützt durch Spenden – Votivgaben –, erbeten vom Volk. Ein Werk des damals erst 26-jährigen Architekten Heinrich von Ferstel, ausgewählt aus 75 Bewerbungen einer internationalen Ausschreibung. Nach 23Jahren Bauzeit wurde die Kirche 1879 geweiht. Prunkstück im Museum der Kirche ist der aus Holz geschnitzte und vergoldete Flügelalter, ein sogenannter „Antwerpener Altar“.
Er gilt als bedeutendster erhaltener Altar seiner Art. 

Als „kosmopolitische Kirche“ versteht sie sich heute, es werden fremdsprachige Messen gelesen, Touristenseelsorge wird angeboten, 2015 wurde die Votivkirche „Last Shelter“, so der Titel des gleichnamigen Dokumentarfilms, eine schützende Herberge für Flüchtlinge bei ihrem Protest gegen menschenunwürdige Behandlung.
Im davorliegenden Sigmund-Freud-Park, damals im Zentrum des Geschehens, tummeln sich üblicherweise Studierende der umliegenden Universitätsinstitute, bestückt mit Skripten, miteinander plaudernd, auf den roten Liege stühlen einfach faul in der Sonne liegend. Oder sitzend an einem Granittisch mitten in einem Baumkreis, den die Europäische Union 1997 zum 40. Jahrestag ihrer Gründung pflanzte, für jeden der damals 15 Mitgliedstaaten einen Baum.
Der Tisch mit zehn Sitzgelegenheiten kam für die neuen Mitglieder der EU-Erweiterung 2004 dazu. Auch die umliegenden kleinen, netten Lokale sind gut und studentisch besucht. Ein Szenelokal der 1980er-Jahre hat bis heute überlebt: das Café Stein, ausgestattet von Gregor Eichinger, Teil des kongenialen Architektenduos „Eichinger oder Knechtl“, Garant für ein in seiner Reduktion spektakuläres Innendesign.
Vorbei am Votiv Kino, einem der ältesten noch bestehenden Wiener Kinos, treffe ich auf die Berggasse. Untrennbar mit dem Namen Freud verknüpft. In meinen Gedanken hänge ich noch dem Votiv Kino nach. Mehrmals stand es vor der Schließung. In den 1970er-Jahren konnte es sich damit über Wasser halten, dass es zum Disney-Kino wurde, verbunden mit dem Recht
und der Pflicht, alle Disney-Filme zu spielen. In den 1980ern wurde es im letzten Moment vor dem Zusperren gerettet. Mit den neuen Eigentümern wurde aus dem Bezirkskino von 1912 ein Treffpunkt für Cineastinnen und Cineasten, zusammen mit dem dazugehörigen Kino De France das besucherstärkste Programmkino Österreichs.

 

In der Berggasse geht es, nomen est omen, wie so o im hügeligen neunten Bezirk zunächst einmal steil bergab.
Linker Hand, im Gartentrakt eines denkmalgeschützten Hauses, einst Gaststätte, befindet sich einer der außergewöhnlichsten
Veranstaltungsräume Wiens, das VIENNABallhaus. Hannah Neunteufel, umtriebige Eventmanagerin, ließ den neobarocken Speisesaal detailgetreu renovieren. Welche Pracht, welches Ambiente für Veranstaltungen jeder Art. Also Augen offen halten nach dem Programm, ersatzweise einen Blick durch die Fenster werfen!
Um die Ecke versteckt sich in einem historischen Kellergewölbe die extravagante krypt.bar. Für die Innengestaltung – spektakulär vor allem die sieben Meter lange Theke aus Marmor und Nussholz – wurde das junge Wiener Büro
KLK 2017 mit dem American Architectural Prize ausgezeichnet. Die außergewöhnlichen, gemüselastigen Cocktails muss ich heute ausfallen lassen, die Bar sperrt erst am Abend auf. Ich gehe stattdessen in die Buchhandlung Orlando, Ecke Berggasse/Liechtensteinstraße, um in den Neuerscheinungen zu stöbern. 
Ein kleines, feines Geschäft mit handverlesenen Büchern, Lesungen und Veranstaltungen im eigenen Kulturkeller.
In der Liechtensteinstraße gut aufgehoben ist auch, wer eine neue Kaffeemaschine, normal bis High End, eine Uhrmacherwerkstatt, Knöpfe und Zubehör oder neue Schuhe – französische Kultmarken! – braucht. Wie an vielen Ecken und Enden des Viertels noch von den Inhaberinnen und Inhabern geführte Geschäfte mit Flair und persönlicher Beratung.
Vor dem Sigmund Freud Museum gibt es eine kleine Menschenansammlung, vorwiegend junge Leute mit Stadtplan, die ins Museum drängen. Wohl auch, um die berühmte Couch zu sehen, die „mehr Geheimnisse kennt als ein katholischer Beichtstuhl“, wie es Freuds Patientin Hilda Doolittle beschrieb. Pech gehabt, die steht in London. Wie auch die Einrichtung, die Freud bei seiner Emigration samt und sonders nach London mitgenommen hat. Kleinigkeiten hat Anna
Freud später nach Wien zurückbringen lassen. Gerade die Leere erzählt aber eine Geschichte, ist sich Peter Nömaier, Leitungsmitglied des Museums, sicher.
Dieser Leerstelle kommt auch in der Dauerausstellung des nach einem Umbau neu eröffneten Museums eine besondere Bedeutung zu. Als Sinnbild und Erinnerungsort für die Verluste, die im Nationalsozialismus durch Flucht und Ermordung entstanden sind. Im erweiterten Museum sind erstmals auch die privaten Räume der Familie zugänglich, was einen Einblick in die Familiengeschichte und den Alltag der Familie Freud erlaubt. Die Praxisräumlichkeiten samt dem original möblierten Wartezimmer lassen erahnen, wie der Freud’schen Kundscha in dieser Atmosphäre wohl zumute war. Das Museum beherbergt
mit 40 000 Titeln zudem die größte psychoanalytische Bibliothek Europas, die zweitgrößte der Welt.
In der Umgebung des Museums ist es zwar belebt, aber erstaunlicherweise selten überlaufen. In der Berggasse eröffnen laufend neue Lokale und verschwinden wieder. Ich bleibe noch kurz bei den Auslagen der Galerie Fortuna stehen, einer Fundgrube für Kunst und Design aus den ärmeren Ländern der Welt. Dann tauche ich ein ins Innere des Servitenviertels.


Gourmandisen 
Klein-Paris wäre es gerne, die Vision der Kaufleute war ein „little Montmatrevon Wien“. Eigentlich ist es sehr wienerisch, mit einer wunderschönen Jahrhundertwende-Architektur, viel Stuck, großen Erkern und Ornamenten rund um die Fenster. Zugegeben, schon ein klein wenig parisien. Ein Flanierviertel, ein Ausgehviertel, ein Gourmetviertel mit hoher Lokaldichte. Ein Dörfchen
im südöstlichen Eck des Alsergrunds, fünf Minuten von der Innenstadt entfernt. Eingebettet in ein bürgerliches Wohnviertel mit gepflegten Zinshäusern, Kulturbetrieben und Baudenkmälern. In den Seitengassen der eine oder andere Gemeindebau.
Herzstück des Viertels ist die Servitengasse. Ihr Mittelpunkt, die Servitenkirche, ist die älteste Barockkirche Wiens, so wie die Peregrini-Kapelle an ihrer Nordseite sehr sehenswert. Die nach dem Namenspatron benannten Peregrinikipferln, ein festliches Mürbteiggebäck, fanden angeblich auch im Hause Freud großen Zuspruch.
Am Eingang der Servitengasse, in der Mercerie, gibt es auch hervorragende Kipferln, besser gesagt Croissants, so wie das Baguette aus der hauseigenen Bäckerei. Die Eclairs sind eine Wucht, sie werden von einer Pariser Patisserie geliefert. Auch sonst ist alles très français, auch der Besitzer. Die alte Holzvertäfelung könnte aus Paris sein, ist aber wie die vielen eingebau-
ten kleinen Schubladen Relikt der früheren Drogerie und des noch früheren Knopfgeschäfts, die hier im Servitenhof ihre Ware verkauften. Beispielsweise Sandpapierfeilen, Wimpernscheren, Luller, Puder und Quasten, wie die Beschriftung verrät. „Mercerie“, zu Deutsch Kurzwarengeschä oder Krimskramsladen, spielt darauf an. Heute enthalten die Lädchen Besteck, Servietten und andere Kleinigkeiten, die man für Speis und Trank so braucht. Es gibt Frühstück, Suppen, Beef Tatar und diverse Planchettes, natürlich Croque Monsieur.
Ein einziges Manko hat die Mercerie: Nur mit Glück ergattert man einen Platz. Reserviert werden kann hier nicht, es ist nur Barzahlung möglich. Der Besitzer verzichtet bewusst auf Website und Telefon. Er wollte „was Kleines für die Leute in der Nachbarschaft“. Alles läuft über Mundpropaganda und über Likes der Social-Media-Gemeinde. Auch heute: bummvoll, wie man in Wien sagt. Drinnen im kleinen Lokal und an den Tischchen im Freien. Ich nehme ein Baguette mit, vielleicht für eine kleine Wegzehrung.
Im Caffè a Casa trinke ich zur Stärkung einen Stehcafé aus eigener Röstung.

Gehe dann weiter entlang der Servitengasse. Kopfsteinpflaster, ein Lokal nach dem anderen, davor hübsche Gastgärten unter schattenspendenden Bäumen, Blumenrabatten. Dazwischen kleine Geschäfte mit gut erhaltenen, schönen Holzportalen. Wie das Edelschimmel, Käsebar & Greißlerei, dort habe ich die Qual der Wahl zwischen 80 Käsesorten, die zur Verkostung und
für den Verkauf über die Gasse bereitliegen. Ich kann mich nicht recht entscheiden, komme lieber ein andermal auf eine Käseplatte, derzeit ist gerade „Stinkad und rot“ angesagt, also Rotschimmelkäse mit Hautgout. Für mich sehr verlockend. Die schräg gegenüberliegende Suppenwirtscha, sogar im Guardian lobend erwähnt, lasse ich heute links liegen und steuere den Feinkostladen von Gerald König – nicht mit mir verwandt – an. Aus seinem Spezialitätensortiment erstehe ich ein wenig Toskanasalami und Prosciutto crudo für meinen Proviant. In Königs Geschäft wurden seinerzeit vom k. u. k. Hofbäcker Ludwig Plank die schon erwähnten Peregrinikipferln gebacken, wie er gerne erzählt. Die gibt es hier nicht mehr. Wer Lust auf Süßes hat, sucht am besten die nahe Xocolat-Manufaktur auf und erfährt dort nebenbei anschaulich, wie Schokolade geschöp wird. Wem danach ist, der oder die findet in den Seitengassen auch Burger und asiatisches Streetfood, Letzteres beim KIANG, 1985 das erste asiatische Restaurant in Wien abseits der glutamatgetränkten Chinarestaurantkultur.
Es schmeckt noch immer.
Zur Grünentorgasse hin wird es wieder sehr wienerisch. In der Café- Konditorei Bürger warten Esterházyschnitte, Maronischnitte, Kardinalschnitte und vieles mehr auf Fans des sehr Süßen. Angeblich gibt es hier den besten Krapfen Wiens. Gemeint ist der Faschingskrapfen, anderswo bekannt als Berliner, Berliner Pfannkuchen oder Fasnachtsküchle. Auch der Servitenwirt hat
sich kulinarisch Wien verschrieben und bietet einen schönen Gastgarten mit Blick auf die Servitenkirche.
Damit es nicht zu gemütlich wird: Der Servitenplatz war einst eine Hinrichtungsstätte, wo gehenkt, gerädert, geköpft und gebrandmarkt wurde. Räuberhauptmann Johann Georg Grasel kam hier 1818 auf dem Galgen zu Tode.

Ein bisschen gebe ich mich noch der Entspannung hin, bevor ich ein weiteres dunkles Kapitel in der Geschichte des Viertels aufsuche. Ein Vorbote ist die Installation „Schlüssel gegen das Vergessen“ gegenüber der Kirche, eine in den Boden eingelassene Glasvitrine mit 462 Schlüsseln und dazugehörigen Namensanhängern für ebenso viele im Nationalsozialismus ermordete jüdische Bewohnerinnen und Bewohner der Servitengasse. Der Alsergrund war bis 1938 einer der Wiener Bezirke mit den meisten jüdischen Einwohnerinnen und Einwohnern. In der Servitengasse wohnten jüdische und, mehrheitlich, nicht jüdische Familien in unmittelbarer Nachbarscha. Nach 1938 waren Erstere „verschwunden“, sprich vertrieben, deportiert, getötet. Ich gehe hinunter zum Donaukanal, zur summerstage, mit der Mitte der 1990er-Jahre die Metamorphose des Kanals zur Freizeitmeile seinen Anfang nahm. Rechts entlang Richtung Schwedenplatz ist es im Sommer laut und trubelig, außerhalb der Saison liegt alles im Schlaf, linker Hand ist es ganzjährig ruhiger. Auf der gegenüberliegenden Ufermauer Graffiti, so weit man blicken kann. Im Wettsteinpark ein Stück dahinter steht die Birke 2/23 des Projekts „Birken für Johanna“. Ein Kunstprojekt, bei dem in jedem der 23 Wiener Bezirke eine Birke dorthin gepflanzt wurde, wo ein Park nach einem berühmten Mann benannt ist – um auf die geringe Präsenz von Frauen in Wiener Ortsbezeichnungen hinzuweisen. Und eine Verneigung vor Johanna Dohnal, einer der herausragenden Persönlichkeiten österreichischer Frauenpolitik.
Über die Seegasse spaziere ich wieder hinein ins Servitenviertel. In wenigen Minuten erreiche ich den jüdischen Friedhof Seegasse. 

Gassel allwo der Juden Grabstätte
„Wer das sucht, was euphemistisch ‚jüdisches Wien‘ genannt wird“, schrieb die Historikerin Helene Maimann einmal, „läuft durch ein Gräberfeld“. Der älteste jüdische Friedhof Österreichs liegt in einem Innenhof hinter dem Seniorenheim Rossau, in der Seegasse. Die Seegasse hatte bis ins 17. Jahrhundert „Gassel allwo der Juden Grabstätte“ geheißen, später nur Judengasse. Da sie oft mit der gleichnamigen Gasse im ersten Bezirk verwechselt wurde, trägt sie seit 1862 den Namen Seegasse.
Ich gehe in das Foyer des Seniorenheimes, etwas schüchtern frage ich die Rezeptionistin nach dem jüdischen Friedhof. „Gehen Sie einfach da durch“, informiert sie mich freundlich und zeigt auf den verglasten Hinterausgang. Der
von Mauern umschlossene Friedhof liegt eingezwickt zwischen Feuermauern und Hinterfronten der umliegenden Häuser sowie des Seniorenheimes. Wie in einer Senke, auf die ich von einer Balustrade hinunterschauen kann. Es wirkt, als wüchsen die Grabsteine aus der Wiese heraus, manche sind verwittert, stehen schief, drohen zu kippen. Insgesamt 349 erhaltene Grabdenkmäler sind es, darunter mehr als hundert an der Mauer befestigt, viele davon nur mehr Fragmente.
Das älteste Grab datiert aus 1582, das jüngste aus 1783. Angelegt wurde der Friedhof schon früher, von Rückkehrern der ersten Wiener Gesera, der ersten planmäßigen Vernichtung der jüdischen Gemeinden Anfang des 15. Jahrhunderts.
Bevor der Friedhof im Nationalsozialismus fast vollständig zerstört wurde, konnten jüdische Zwangsarbeiter mehr als 200 Grabsteine auf dem Zentralfriedhof verstecken und damit in Sicherheit bringen. Gefunden und in die Seegasse zurückgebracht wurden sie in den 1980er-Jahren. Seit dem Jahr 2010 werden die Grabsteine in Zusammenarbeit mit israelisch-rabbinischen
Fachleuten wieder an ihren historischen Orten aufgestellt und restauriert.
Sehr betreten verlasse ich den Friedhof wieder. Ebenso anrührend ist der zweitälteste jüdische Friedhof Wiens, der 1784 eröffnete Jüdische Friedhof Währing. Er liegt etwa zwanzig Minuten entfernt im angrenzenden 18. Bezirk.Als Europas größter erhaltener jüdischer Friedhof des 18. und 19. Jahrhunderts ist er massiv von Verfall bedroht. 30 000 Menschen wurden hier begraben, auf den Grabsteinen findet man berühmte Namen wie Epstein, Ephrussi oder von Hofmannsthal. Eine Freiwilligeninitiative bemüht sich redlich um die Restaurierung, ein schier aussichtsloses Unterfangen. Empfehlung: ein Besuch im Rahmen der angebotenen Sonderführungen. Am bekanntesten unter den jüdischen Friedhöfen sind zwei jüdische Abteilungen auf dem Wiener Zentralfriedhof. Die ältere ist eine der wenigen in Europa, die nicht durch eine Mauer von den christlichen Abteilungen getrennt ist. Weniger bekannt ist der jüdische Friedhof Floridsdorf und die jüdische Abteilung im Friedhof Döbling, wo Tote aller Religionen nebeneinander ihre letzte Ruhe fanden.


Fürstliche Pfade und eine literarische Stiege 
Über die Fürstengasse gelange ich zum Gartenpalais Liechtenstein im gleichnamigen Park. Früher ein bedeutender Barockgarten, wie viele andere Anlagen im späten 18. Jahrhundert in einen weitläufigen englischen Landschaftsgarten umgewandelt. In den frühen 2000er-Jahren wurde daraus ein Park. Er ist in Privatbesitz, aber öffentlich zugänglich.
Das ebenfalls barocke Gartenpalais Liechtenstein beherbergt gemeinsam mit dem Stadtpalais in der Wiener Innenstadt eine der weltweit bedeutendsten privaten Sammlungen europäischer Kunst aus fünf Jahrhunderten. Besichtigung hier wie dort nur per vorgebuchter öffentlicher Führung. Aber für Kunstinteressierte sehr lohnenswert. Schön ist es, hier spazieren zu gehen, unter alten Bäumen, auf vielen schmalen Pfaden, vorbei an einem kleinen Teich, an einer der etwas raren Sitzbänke, zwischen Vasen und Statuen, Blumenrabatten, Rasenflächen. Wer gerne Unterhaltung hat, geht auf den großen Spielplatz, hier gibt es ausreichend Sitzgelegenheiten. Es wäre höchste Zeit für meine Wegzehrung. Die mag ich aber lieber auf einer berühmten Treppe zu mir nehmen. Wer kennt sie nicht, die Strudlhofstiege? Zumindest vom Hörensagen oder aus der Literatur. Stichwort: Heimito von Doderer. Vom Ausgang des Liechtensteinparks beim Spielplatz via Liechtensteinstraße/Pasteurgasse erreichbar.
Mit dem Wiener Strudel, einer Mehlspeise, hat sie nichts tun zu tun, sondern mit dem Hofmaler Peter Strudel.
Unter anderem Gründer der Akademie der bildenden Künste in Wien, der ältesten Kunstakademie Europas.

Ich nehme mein Schinkenbaguette also auf einer Wiener Jugendstiltreppe zu mir, unter Bäumen, nahe einem Brünnlein (kein Trinkwasser!), stilvoll kopierten Hängelampen und geschwungenen Geländern. Ursprünglich war die Anlage blau, nun erstrahlt sie in Otto-Wagner-Grün, das es nebenbei bemerkt zu dessen Zeit noch gar nicht gab, sondern erst in den 1950er-Jahren.
Eines der vielen historischen Missverständnisse. Auf einer Steinplatte das verewigte Gedicht Doderers: „Wenn die Blätter auf den Stufen liegen / herbstlich atmet aus den alten Stiegen / was vor Zeiten über sie gegangen. / Mond darin sich zweie dicht umfangen / hielten, leichte Schuh und schwere Tritte, / die bemooste Vase in der Mitte / überdauert Jahre zwischen Kriegen. / Viel ist hingesunken uns zur Trauer / und das Schöne zeigt die kleinste Dauer.“ 
Ich lese es mir laut vor – keiner in der Nähe, der sich über meinen Geisteszustand Gedanken macht. Obwohl ich da am Alsergrund gar nicht so schlecht aufgehoben wäre. Schließlich ist er als Medizinerviertel geläufig, worauf mancher Straßenname hinweist: Boltzmanngasse, Spitalgasse, Lazarettgasse, Pasteurgasse, Van-Swieten-Gasse, ja und auch die Sensengasse, in
deren Umgebung es in der Tat im 18. Jahrhundert einige Friedhöfe gab. Der Narrenturm auf dem Gelände des Alten Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien wurde 1784 als erste Psychiatrische Klinik Kontinentaleuropas errichtet. Heute beherbergt der Turm das Pathologisch-anatomische Bundesmuseum.

Schaurig-schön, sehr interessant.

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