Stille Wasser, weite Berge, goldener Wein

Thaya

An den Ufern des idyllischen Grenzflusses

© (c) Eva Gruber Bild vergrößern Foto: (c) Eva Gruber

Weg: Start/Ziel P an der Thaya-Brücke (N 48.85238 , E 15.86274 , 2082 Hardegg 20) – „Thayatalweg 1“ – Umlaufberg- Umrundung: „Thayatalweg 1a“ (1 h, abkürzen auf Überstieg – inkl. Aussicht! – möglich) – „Thayatalweg 1“ bis Merkersdorf – dort „Merkersdorfer Rundwanderweg 4“ – ab Zusammentreffen „Thayatalweg 1“ retour nach Hardegg

Tipps: Strecke „Einsiedlerweg“ zu Uferwiese, am Kamm Ausblicke | Saison Sommer: Sonnenschutz, evtl. Sandalen für Fußbäder im (ganzjährig kalten) Fluss,Lavendel l als Insektenschutz | Herbst und Winter: Begehungen reizvoll | Einkehr Unterwegs keine Einkehr

An einem Junitag verlockt mich ein Weg, dessen Wassernähe und schattige Waldlage auch an heißen Sommertagen balsamische Kühle verspricht. Daher fahre ich nach Hardegg im Hohen Norden Österreichs, der mit 84 Einwohnern kleinsten Stadt unseres Landes, wo seit dem Jahr 2000 der ebenfalls kleinste unserer Nationalparks – gemeinsam mit dem tschechischen Národn park Podyj – eine schimmernde Fluss-Perle beschützt: die Thaya, auf 26 Kilometern Länge Grenzfluss zwischen Tschechien und Österreich. Östlich von Hardegg hat sie ihr mäandrierendes Bett 150 Meter tief in das harte, kristalline Gestein der Böhmischen Masse gegraben und so eines der schönsten Durchbruchstäler Europas geschaffen. Dank kleinräumig wechselnder geografischer, klimatischer und geologischer Umstände sowie der unzugänglichen, grenznahen Randlage, die vor menschlichem Eingriff schonte, bewohnen ihr Mosaik vielfältiger Biotope außergewöhnlich viele Tiere und Pflanzen.

Allein im 1.360 Hektar großen österreichischen Nationalpark zählt man 1.290 Pflanzen-, 500 Flechten-, über 950 Schmetterlings-, 100 Vogel- und 20 Fledermausarten sowie, worauf man besonders stolz ist, mehrere Wildkatzen!

Von der Thayabrücke in Hardegg auf den Fluss schauend, bin ich auf den ersten Blick verliebt in ihn – vor allem auch wegen der sich sachte in der Strömung wiegenden Unterwasserpflanzen, deren bis sechs Meter lange Stängel an Haare erinnern. Die Ranunculus fluitans ist spezialisiert auf schnell strömende Gewässer, und die Thaya, tschechisch „Dyje“, leitet ihren Namen aus dem illyrischen „Dujas“ ab, das „rauschender Fluss“ bedeutet ...

Zu meinem Entzücken gesellt sich auf dieser Brücke ein Schaudern, an den Eisernen Vorhang denkend, der bis 1989 mehr als vier Jahrzehnte lang jeglichen Austausch abgeriegelt hatte! Ob man diesseits oder jenseits der Brücke lebte, hatte über das Leben der Menschen, ihre Kultur und Freiheit entschieden – weil Politik, Macht und Wirtschaft es so wollten ...

Schon auf den ersten Metern des österreichischen Thayatalweges allerdings ergreift mich der Friede dieses Ufer-Idylls: Ihr bildliches Zentrum sind der braune Fluss, die bemoosten Steine und Felsen ringsum, der schattige, in vielen Grüntönen changierende Laubmischwald und da und dort, auf stillen Wasserflächen, das Spiegelbild von Himmel und Bäumen. Klanglich füllen diesen Wald-Raum das leise Murmeln der gemächlich fließenden Thaya, das gelegentliche, sanfte Säuseln sommerlicher „Lüfterl“ in den Blättern und die vielen hellen Stimmen der Vögel.

Sehr bald entfernt sich der Weg jedoch vom Fluss und steigt über Holzstufen rechter Hand ca. sechzig Höhenmeter an. Wo links oben der „Einsiedlerweg“ abzweigt, setze ich auf Weg 1 fort, quere einen Karrenweg und steige durch lichten Laubwald ab.

Etwa eine halbe Stunde nach Beginn der Wanderung folge ich einem Güterweg über die erste der Wiesen am Ufer der Thaya. Ihr Wasser ist klar, wirkt aber hell- bis dunkelbraun. Das Farbspektrum der Steine in ihrem Bett reicht von Gelb über Rot- bis zu Brauntönen. Da und dort leuchtet ein Stein intensiv orangefarben. Der Fluss fließt ruhig, nur selten glucksend. Auf der Wiese trocknet der Tau rasch auf. Damit geht eine, in der Nähe von Gewässern häufige, dampfige Schwüle einher. Nur der Ruf eines Kuckucks unterbricht die große Ruhe dieses Landschaftsbildes und mehrfaches Piepsen meines Mobiltelefons, das mir Roamingpreise tschechischer Provider und die Wetterprognosen für Tschechien mitteilt …

Nach dieser Wiese betrete ich erneut schattigen Uferwald. Zwischen Hainbuchen, Rotbuchen, Linden, Ahorn und Eichen habe ich die Thaya im Blick und eine tschechische Familie, die samt Hunden durch den glitzernden Fluss watet.
Der Umlaufberg, der sich mit ovalem Grundriss 150 Meter über das Tal erhebt, ist ein Höhepunkt der Tour, weil die Thaya ihn fast zur Gänze umrundet.

Zu seiner Umrundung wird der Fluss seit fünf Millionen Jahren von einer nur hundert Meter dicken Felsbarriere aus härtesten, bis zu 600 Millionen Jahre alten Graniten, Gneisen und Schiefern, den „ Überstieg“, gezwungen. An diesen schließt nahtlos der tschechische Umlaufberg Stallfirst (Ostroh) an. Schon nach kurzem Wegstück stellt sich der Vraní skàla, der Rabenfelsen, dem Fluss entgegen und zwingt ihn, seine Richtung scharfwinkelig nach Osten zu ändern. Hier steht das Wasser ganz still.

Den Grund des Flussbetts bedeckt feiner Sand, in dem viele Partikel goldfarben schimmern! Eine Schwan-Familie gleitet über seinen Spiegel und Schwärme von Mücken sirren über ihm. Besonders prägen den Umlaufberg seine beiden, von einer Uferwald-Passage unterbrochenen, direkt an den Fluss grenzenden, mehrere Hektar großen Wiesen mit Gräsern, Schmetterlingblütlern, Hahnenfußgewächsen, Korb- und Kreuzblütlern und sogar Orchideen. Über sie gaukeln jetzt Schmetterlinge in großer Zahl, Bienen summen, Fliegen schwirren, Grillen zirpen, Heuschrecken hüpfen und Vögel singen vielstimmig. Dass man zum Schutz der Vogelwelt diesen Bereich nur tagsüber betreten darf, ist genauso verständlich wie dass man die Wiesen zum Erhalt ihrer Artenvielfalt regelmäßig mäht.

Am Ende der zweiten Umlaufwiese bezaubern gewaltige Königskerzen, riesige Eichen und die Spuren von Bibern, die einige Stämme durchgenagt haben, sowie auf einem Felsen hoch oben die Reste einer Burg, so braun wie Torf, die Burgruine Neuh usl (Nový Hr dek). Etwas weiter flussab stehen zwei Buben im Fluss, einander aufgeregt auf diese und jene Beobachtung hinweisend … 

Danach wende ich mich auf Weg 1 nach Merkersdorf, auf einem Forstweg den Bach entlang durch das feuchte Schattental hinansteigend. In einem der seichten Tümpel zwischen bemoosten Blöcken l dt eine „Wasserforschungsstation“ Kinder ein, darin auf Entdeckungstour zu gehen.

Als ich dabei zwei der heute seltenen Flusskrebse erspähe, bin ich selbst aufgeregt wie ein Kind …

Der Edelkrebs oder Europäische Flusskrebs (Astacus astacus) gehört mit bis zu 17 Zentimetern Länge zu den großen Flusskrebsarten Österreichs. Obwohl er einst fast europaweit die häufigste Flusskrebsart war, sind die Tiere durch naturfernen
Gewässerbau, Schadstoffe und vor allem die von nordamerikanischen Krebsen eingeschleppte Krebspest so extrem dezimiert, dass sie heute auch in Österreichs Fließgewässern außerordentlich rar sind!

Ich biege ab zur einstigen Burg Kaja, die um 1050 als Teil der Festungslinie zwischen Frain (Vranov) und Falkenstein erbaut wurde. Nach der Vereinigung Böhmens mit Ungarn und Österreich wurden die Grenzbefestigungen bedeutungslos, Kaja und Neuhäusl verfielen. Jahrhundertelang aber hatten hier Raubritter und Herzöge, Kriegsführer und Minnesänger verkehrt, Turniere und Gelage stattgefunden … Heute, wochentags, ist die Ruine leider geschlossen.

Nach einem Straßenstück biege ich bei den ersten Häusern Merkersdorfs rechts ab, um über den Schwarzenberg zurück zum Thayaufer zu gelangen. Nach einem sonnenexponierten Feldweg bin ich froh, als mich die schattige Kühle des Waldes empfängt. Rosafarbene Türkenbundlilien (Lilium martagon), blau-gelbe Lilien (Iris variegata) und eine leuchtend grüne Smaragdeidechse (Lacerta viridis) sind etwas wie der Auftakt zu einem nächsten Highlight der Tour: die Felsbalkone mit fantastischem Blick auf das gewundene Tal der Thaya. Nun zeigt sich auch das heitere Verwirrspiel, das der Fluss mit Wanderern treibt, indem seine Burgen mal flussauf, mal flussab und die sterreichischen und tschechischen Flussufer mal links, mal rechts sind …

Ab dem Zusammentreffen mit meinem Hinweg am Thayaufer folge ich diesem retour nach Hardegg – überglücklich mit meiner Wanderung, wobei meine heutigen Tiersichtungen eine krönt: die eines Fischotters! Der Lutra lutra wird bis 90 Zentimeter groß, ist ein perfekter Schwimmer und Taucher, lebt als nachtaktiver Single ohne fixe Paarungszeit in Gewässern aller Art und frisst etwa ein Kilo Fisch oder ähnliches täglich. Heute leben Otter in Österreich nur mehr in den grenznahen, Fischteich-reichen Regionen im Osten und Norden des Landes – quod erat demonstrandum.

Auf der Fahrt zum Nationalparkhaus gebietet die Burg Hardegg als mächtigster Blickfang des Städtchens einen Fotostopp am Straßenrand: eine der mit 600 Metern Umfang größten Wehrburgen Niederösterreichs, die 1140 ebenfalls als Grenzfeste zur Abwehr von Übergriffen aus Mähren errichtet und in romanisch-gotischem Look restauriert wurde.

Im hellen Holzquader des Nationalparkhauses dagegen überfliege ich mithilfe moderner Technik das Thayatal, steuere mittels Tablet mich interessierende Themen an, bekomme anhand eines Films und einer Ausstellung Wissenswertes vermittelt und bestaune die enorme linke Speiche eines Wollnashorns. Dieses Tier hatte während der letzten Eiszeit mit Mammut, Steppenwisent und Riesenhirsch die Region besiedelt, die damalseine Steppe war …

  • Eva Gruber
  • stille Wasser – weite Berge – goldener Wein
  • Wanderungen im Osten Österreichs
€ 23,00
Broschur
14,5 x 20,5 cm; 192 Seiten
ISBN 978-3-222-13682-5
Erscheinungstermin: 05/07/2021
Sofort lieferbar

Hinaus ins Freie!

In 24 sorgfältig ausgewählten, landschaftlich herausragenden Wanderungen zu Wein, Wasser und Berg im Osten Österreichs zeigt uns Eva Gruber beeindruckende Naturerlebnisse, die von Wien aus gut erreichbar sind: rauschende Wasserfälle, bemooste Felsen, mystische Teiche und herbstgoldene Weinberge.
Mit anregenden Ausflugstipps und Wegbeschreibungen erzählt sie über das, was sonst in Wanderbüchern nicht zu finden ist: die einfühlsame Begegnung mit der Natur, der Landschaft, aber auch mit Kultur und Geschichte – all das, was die Wanderungen zu einzigartigen Erlebnissen macht!

• Runter vom Sofa und rein in die Natur – so wird unsere Zeit draußen zum echten Erlebnis
• Achtsam und bewusst das Wiener Umland erwandern – von der Wachau über die Lobau, von den Wiener Hausbergen bis nach Krems
• Mit Tipps zur idealen Tages- und Jahreszeit für jede Tour

PRESSESTIMMEN

"​Feine Anregungen für Touren im Osten von Österreich." - DIE PRESSE

"Eva Gruber hat das getan, womit viele Menschen in den Lockdowns ihre Zeit verbracht haben: Sie wanderte, und zwar durch den Osten Österreichs ..." - Kronen Zeitung

"Reizvolle Anregungen." - TV Media

" ... ein besonderes Buch." - Campingrevue

Eva Gruber wuchs in einer Bergsteigerfamilie im Schwarzatal auf, studierte Germanistik und Anglistik in Wien, startete ihre Berufslaufbahn im Art-Brut-Center „Haus der Künstler“ in Maria Gugging und war anschließend im Verlagswesen tätig. Seit 2007 setzt sie sich als Autorin und Landartistin mit dem Thema Naturlandschaft auseinander – in Form von Fußreisen, Landart-Installationen im öffentlichen Natur-Raum, Publikationen, Ausstellungen und Vorträgen. Sie lebt in Gloggnitz und auf Reisen.
www.eva-gruber.com
Im Styria Verlag von Eva Gruber bereits erschienen: „Semmering,Rax, Schneeberg. Die schönsten Wanderungen in den Wiener Alpen“.

Blick ins Buch

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stille Wasser – weite Berge – goldener Wein

€ 23,00
Broschur
14,5 x 20,5 cm; 192 Seiten
ISBN 978-3-222-13682-5
Erscheinungstermin: 05/07/2021
Sofort lieferbar
9783222136825 - stille Wasser – weite Berge – goldener Wein
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