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Vergessene Welt der Krippenspiele

© (c) Emil Karl Blümml und Gustav Gugitz, Alt-Wiener Krippenspiele. Wien 1925 Bild vergrößern Foto: (c) Emil Karl Blümml und Gustav Gugitz, Alt-Wiener Krippenspiele. Wien 1925

Untrennbar verbunden mit der Weihnachtswelt von anno dazumals und heute zur fernen Legende geworden ist die Tradition des Krippenspiels. Besonders heiß geliebt wurden die fantasievollen Darbietungen dieser – oft mit aufwendigen und komplizierten Mechanismen ausgestatteten – „Theater“ von den Kindern, die – glaubt man den Quellen – mit großer Begeisterung dem in Bild und Pantomime eindrucksvoll präsentierten biblischen Geschehen folgten.

Ursprünglich hatte das „Krippelspiel“ nichts mit mechanischen Effekten zu tun – die Krippen, die man mit Beginn des Advents aufzustellen pflegte, wurden so wie überall mit unbeweglichen, mehr oder minder dekorativ gestalteten Figuren arrangiert; in einer Zeit, in der es noch keinen Christbaum gab, konzentrierte sich alles auf diese plastische Vergegenwärtigung des Weihnachtsmysteriums. Allmählich, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, wurden die Krippen lebendig, findige Künstler entdeckten immer neue Möglichkeiten für überraschende „Spezialeffekte“.

Auch das barocke Wien stand hierin nicht zurück: So berichtet das Wiener Diarium im Jahre 1716 von einem „sehr schönen Krippelein“ in der Pfarrkirche zu St. Anna und den vierzehn Nothelfern in Lichtenthal, „in welchem neben einer hochspringenden Wasserkunst, Fisch-Teicht und durchs Wasser getribener Stämpff-Mühlen, ein aus dem Gewölk mit dem Gloria in excelsis Deo herabfliegender Engel und allerhand andere sich bewegende Figuren, auch alle Geheimnussen der Kindheit Christi durch den Licht-Schatten künstlich vorgestellet“ würden.

Wie mühsam Konzeption und Bau eines solchen Krippenspiels auch sein mochten, wie teuer die Requisiten – das Geschäft mit der theatralisch inszenierten Szenerie florierte hervorragend, und die Investitionen wurden meist schnell zurückverdient. Geschickte Marionettenspieler verstanden es, die verblüffenden mechanischen Effekte in originelle Handlungsabläufe zu kleiden, die vom neugierigen Publikum entsprechend beklatscht wurden.

Gleichsam zur Institution unter den Wiener Krippenspielen wurde jenes der „Frau Godel“ in der Lerchenfelder Straße 48 – selbst Mitglieder des Hofs sollen sich hier – in der tiefsten Vorstadt – diesem speziellen Wiener Weihnachtsvergnügen hingegeben haben.

Wer war aber nun die „Frau Godel“, der Wien eine solch singuläre Attraktion verdankte? Emil Karl Blümml und Gustav Gugitz, die beiden Altmeister der Wiener kulturgeschichtlichen Forschung, stellten in ihrer Monografie über Alt-Wiener Krippenspiele die Details zu ihrer Person zusammen:
Barbara Müller (1711–1789), die Gattin eines Richters und Strumpfwirkers, führte ihr Krippenspiel in der damaligen „Strozzischen Hauptstraße“ im Haus „Zum goldenen Adler“ von 1748 bis 1786 ohne Unterbrechung auf.
Diese Leistung wiegt umso schwerer, als die öffentliche Meinung in maria-theresianischer Zeit über die Krippenspiele zunächst nicht die beste war – die Marionettenkünstler standen in dem Ruf, mitunter auch derbe Späße und Zoten in ihre Vorführungen aufzunehmen, um nur genug Publikum anzulocken.

Barbara Müller ließ sich von diesen Diskussionen um ihre Kunst offensichtlich nicht beirren und konnte 1774 ihr Krippenspiel erstmals hochoffiziell im Wiener Diarium ankündigen:
„Es wird allen hoh- und niedern Standes resp. Liebhabern zu wissen gemacht: daß mit Bewilligung einer hohen, geist und weltlichen Obrigkeit die durch verschiedene Jahre bei dem k. k. Hofe produzierte Krippe vom 4. Dezember an bis zu Ende der Faßnacht täglich um 2 Uhr, an Sonn- und Feiertägen aber etwas später angefangen und bis späten Abend continuiert, im alten Lerchenfeld beim goldenen Adler wird vorgestellet werden. Auch werden einige, noch nie gesehene Stücke zum Vorschein kommen, welche den resp. Zusehern vollkommenes Vergnügen verschaffen werden“ – ein Versprechen, das die geschäftstüchtige Frau Godel wohl auch halten konnte: Für 1777 melden die zeitgenössischen Quellen, dass sie bereits 31 Maschinen in ihr Krippenspiel integriert habe und den Spielplan weiter ausbaue – der Höhepunkt des Erfolgs war erreicht, ihr „Theater“ zur Institution geworden.

1786 verkaufte Barbara Müller das Krippenspiel – aus gesundheitlichen Gründen, vermutlich aber auch unter dem zunehmenden Druck der josefinischen Kritik, wobei sich Joachim Perinet besonders hervortat – an einen Kaffeesieder namens Johann Lang, der mit dem Unternehmen in die Lerchenfelder Straße 38, damals Strozzische Hauptstraße 7, übersiedelte und es unter dem Namen „Zur Frau Godel“ tatkräftig weiterführte.

Von Lang, der 1803 starb, übernahm 1801 der Krippenspieler Josef Schweger (Schwäger) das Haus; unter den Gästen im Dezember 1801 war auch Joseph Richter, der Autor der berühmten Eipeldauerbriefe. Richter über seine Eindrücke bei der Frau Godel: „Da bin ich die Täg in Krippelspiel gwesen und da wars zum Erdrucken voll. Sie müssen ein guten Maschinmaster haben; denn d’Verwandlungen gehn wie der Wind und es bleibt nichts stecken. – Auf d’letzt kommt sogar ein Ballet vor, bei dem können sich aber d’Schneider nicht viel machen; denn d’Kleider von Tanzerkorps sind schon seit drei Jahrn d’nämlichen und d’hölzernen Mandeln müssen ein Bissl delikater damit umgehn als unsre Lebendigen; denn sie sind noch alle funkelneu.
Aber mir hat nichts besser g’falln, als d’allgemeine Stille von Zuschauern. Allein, das geht ganz natürlich zu; denn im Krippelspiel gibts ja keine Loschen; und wenn die klein Kinder was z’sehn habn, so halten sie sich immer ruhiger als die großen Kinder.“ Der wie immer etwas krampfhaft originell sein wollende Bericht des Eipeldauers bestätigt immerhin, dass die Anziehungskraft des Krippenspiels auf die Wiener auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts ungebrochen war und das Publikum sich tatsächlich zum Großteil aus Kindern rekrutierte. Diese erstaunliche Konjunktur des Krippenspiels in Wien sollte sich noch einige Jahrzehnte lang fortsetzen, zahlreiche Unternehmen sind für diese Zeit bezeugt.

1806 kaufte ein gewisser Maximilian Sedelmayer einen Teil der Maschinen Schwegers und eröffnete damit unter dem Namen der „Frau Godel“ ein Krippenspiel in der Siebensterngasse 33, damals Neubau Nr. 162, ein Ort, der den Wienern als „Holzplatzl“ bekannt war. Hier existierte das legendäre Theater noch bis in die Zeit um 1850; ein seltsames Schicksal wurde den berühmten Maschinen der Frau Godel zuteil, die über hundert Jahre lang die Bevölkerung Wiens bestens unterhalten hatten: Sie wurden abgebaut und nach Amerika verschifft, wo man sie als unnützen Ballast im Mississippi versenkte.

Noch aber war das Alt-Wiener Krippenspiel nicht gänzlich tot: Bereits 1835 hatte der akademische Zimmermaler Karl Schönbrunner in der Lerchenfelder Straße 23 ein neues Krippenspiel eröffnet, das sich bald großer Popularität erfreute;
unter den späteren Besitzern, dem Volkssänger Adolf Kollarz und der Varietédirektrice Paula Baumann, wurden in diesem Institut die „schönen und rührenden Überlieferungen einer volkstümlich so wertvollen Kunst“ (Blümml/Gugitz) bis zum Jahre 1913 aufrecht erhalten – dann musste sich auch dieses letzte Refugium Alt-Wiener Weihnachtstradition der übermächtigen Konkurrenz des Kinos geschlagen geben.

Figuren, Maschinen und Dekorationen wurden nach dem Ersten Weltkrieg zum Großteil zerstört und als Brennmaterial genutzt.
Schon 1893 hatte Alexander Tille in seiner Geschichte der Deutschen Weihnacht diesen Untergang von Krippe und Krippenspiel, der, wie er es nannte, „Reste einer niedergegangenen Weltanschauung“, vorausgesagt – im „modernen“, säkularisierten Bild von Weihnachten, dem national verbrämten Familienfestkitsch, war für barocke Volksfrömmigkeit kein Platz mehr.

€ 25,00
Hardcover
20,5 x 27 cm; 208 Seiten
ISBN 978-3-222-13683-2
Erscheinungstermin: 23/09/2021
Sofort lieferbar

Weihnachtszeit wie damals

Dieses stimmungsvolle Backbuch nimmt uns mit auf eine nostalgische Zeitreise zurück in die weihnachtliche Welt unserer Urgroßväter und Großeltern. Es versammelt Hinweise aus Memoiren, Tagebüchern und Reiseberichten, bringt Geschichten und Erinnerungen an eine längst versunkene Zeit.

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Johannes Sachslehner, geb. 1957 in Scheibbs, studierte an der Universität Wien Germanistik und Geschichte (Dr. phil.) und unterrichtete von 1982 bis 1985 an der Jagiellonen- Universität Krakau als Gastlektor für deutsche Sprache und Literatur, seit 1989 Verlagslektor. Zahlreiche Publikationen zu historischen und kulturhistorischen Themen.

Ingrid Pernkopf verkörperte österreichische Alltagsküche wie keine andere. Die Gmundnerin führte bis zu ihrem Tod 2016 mit ihrem Mann Franz das Gasthaus „Grünberg am See“. Basierend auf dem Fundus ihrer Großmutter sammelte und entwickelte sie all jene Rezepte, die bis heute überzeugen.

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Weihnachten wie damals

€ 25,00
Hardcover
20,5 x 27 cm; 208 Seiten
ISBN 978-3-222-13683-2
Erscheinungstermin: 23/09/2021
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