Stille Wasser, weite Berge, goldener Wein

VON BADEN NACH MÖDLING

Auf dem Wasserleitungsweg durch den Wein

© (c) Eva Gruber Bild vergrößern Foto: (c) Eva Gruber

Es ist ein wolkenloser, milder Tag Ende Oktober– einer derer, die mit dem Attribut „golden“zu bezeichnen ich nicht umhin kann –, und da zieht es mich in den Wein der Thermenregion zwischen Baden und Mödling. Durch sie reist auch das Wiener Wasser auf seinem Weg aus den Bergen in die Stadt.

Der „1. Wiener Wasserleitungsweg“ verläuft exakt auf seiner Trasse und führt mich mitten durch das alte Wein-Land!

Im Kurpark Baden ragen die Bronzen von Lanner und Strauss auf ihren Marmorsockeln in einen Himmel von unfassbarem Blau. Schon hier weist eine Tafel zum „Beethovenweg“, von dem ich bald zum „Beethoventempel“ abzweige. Ab 1803 suchte auch Ludwig van Beethoven 17 Mal Heilung in den Schwefelquellen der kaiserlichen Kurstadt. In Baden (wo ihn ein Museum würdigt) komponierte er an der „Eroica“, der „Pastorale“, der „Missa solemnis“, der „Neunten Symphonie“, und er wanderte exzessiv – im Helenental, im Wienerwald und am Wiener Neustädter Kanal. 

Auch während seines Arbeitstags – vom Morgengrauen bis etwa 15 Uhr – lief er oft hinaus ins Freie und kehrte inspiriert zur Arbeit zurück. Unter dem Deckenfresko des Beethoventempels namens „Ode an die Freude“ posieren heute Models in Herbstmode beim Fotoshooting.

Wieder zurück beim vorigen Abzweig gelange ich zu einem Schilderbaum mit gelben Tafeln, die alle drei zum „Beethovenweg“ (Weg 40) weisen, aber unterschiedlich verlaufen. „Mein“ Beethovenweg führt auf dem Wasserleitungsweg nach Gumpoldskirchen. Ich verlasse daher hier den Kurpark auf einem breiten Kiesweg nach rechts absteigend und setze die Straße querend durch die Mautner-Markhof-Straße fort. Hier raschelt Herbstlaub wie hauchdünnes Seidenpapier am Asphalt, in den Villengärten blühen lilafarbene Astern und späte Rosen, bedeckt blutroter Wein eine Hausmauer, und rechts des Weges richtet der erste der schönen, steingemauerten „Einstiegstürme“ in die darunter verlaufende Wasserleitung stilgerecht den Fokus auf die Wasserversorgung der Stadt Wien: Alles daran ist extrem imponierend, wie Lebenszyklus und Reise dieses Wassers!

Gespeist aus den Quellen von Schneeberg, Rax und Schneealm fließt es in etwa einer Tagesreise in die Stadt – durch kilometerlange, in den Fels gesprengte Stollen, u. a. über 30 Aquädukte.

Dieser gewaltige Bau wurde bis 1873 von 10.000 Menschen in nur vier Jahren bewerkstelligt! Heute sind es rund 220 Millionen Liter reinen Quellwassers, das diese Berge der Stadt Wien täglich spenden! Überdies ist die konstante Versorgung der Metropole mit diesem Wasser eine äußerst imponierende Leistung …

Nach etwa 40 Minuten vergnüglichen Spaziergangs vom Bahnhof weisen in der Anton- Schiestl-Straße zwei Schilder zum Abzweig nach rechts: Die für den „1. Wiener Wasserleitungsweg“ typische blaue Tafel mit weißer Schrift und die Ziffer 40, die den „Beethovenweg“ bezeichnet.

Ab nun bin ich umgeben von Wein – in leuchtendem Gelb! Der Gipfel des 675 Meter hohen, bewaldeten Anningers dagegen prangt in tiefem Rotweinrot. Mein Blick umfängt, was ich in der Folge unterschiedlich umfassend und aus verschiedener Perspektive immer wieder sehen werde: die Berge zwischen Schneeberg und Buckliger Welt, deren Silhouetten scharf gezeichnet in allen Schattierungen vom dunklen Blau der nahen bis zum blassen Blau der fernsten ihrer Kämme hintereinander
stehen und auch die den W

einbergen vorgelagerten Orte und Anlagen des zum Missfallen mancher sogenannten „Industrieviertels“ …

Vor Pfaffstätten um eine Kurve biegend, weitet sich das sanft gewellte Wein-Land zu einem Cinemascope-artigen Panorama – in Blau, Gelb und Rot. Alle Farben haben im klaren Herbstlicht eine überwältigende Leuchtkraft! Durch diese Landschaft mal entlang der Breit-, mal entlang der Längsseiten der Rieden wandernd, ist mir, als ginge ich durch ein gigantisches, abstraktes Gemälde, auf dem die von hellem Gelb bis zu fast braunem Rot reichenden Farbzeilen mit einer Latte oder Spachtel aufgebracht worden waren.

Zartestem Silberhaar gleich schimmern da und dort im Gegenlicht „Altweibersommerfäden“: Sie werden in langsamen, schlingernden Bewegungen vom leisesten Hauch durch die Luft getragen – bis sie sich an einem Halm, einem Busch, einem Weinstock fangen, ehe sie erneut erfasst werden … Das Festliche der Landschaft heute, das Himmelsblau, die milde Wärme und die Rieden, die, der Hangneigung folgend, oft eine leichte Schräglage haben – als hätten sie ein Achterl zu viel genommen –, alles, das Ganze und das Einzelne, färbt mit seinem heiteren Flair meine Stimmung, ganz ohne Wein …

„Goldener Herbst“ steht auf der Tafel einer Buschenschank. Hier, direkt in den Weingärten, wo heranwächst, was mit fruchtiger Säure, feiner Blumigkeit und goldenem Schimmer im Glas zum Genuss verlockt, lässt es sich bei Aufstrichbroten, Sturm oder Weingartenpfirsichbowle herrlich bacchantisch der Feier des Augenblicks hingeben, ganz im Sinne des Liedes von einem anderen Ludwig: „Es wird ein Wein sein und wir wern nimma sein …“, aus der Feder Ludwig Grubers, des Komponisten sentimentaler Wienerlieder.

Vor dem Aquädukt über der Einödstraße von Pfaffstätten nach Gaaden erwarten Wanderer ein Trinkwasser-Zapfhahn, Picknickplätze und Info-Tafeln über den UNESCO-Biosphärenpark Wienerwald. Nach der Straßenquerung begleiten Skulpturen der Künstlerin Regina Hadraba den Weg – eine Weinflasche, eine Musiknote, eine Fledermaus aus Metall, und nicht lange später ein weiteres jener schönen, steingemauerten Mini- Häuschen mit einem Dach, das an eine Pickelhaube erinnert: der „Einstiegsturm“ Nr. 39 der Wiener Wasserleitung.

Schon vor über 2.000 Jahren wurde an den Osthängen des Anningers Wein kultiviert. Die Römer brachten Weinstöcke und Kenntnisse über die Weinerzeugung aus ihrer Heimat in die Thermenregion. Denn hier profitiert der Wein vom pannonischen Klimaeinfluss sowie von den lehmigen Böden mit kalkhaltigen Kiesen aus Resten von Muscheln und Schnecken … (vgl. www. oesterreichwein.at). In Kombination mit warmen Fallwinden aus dem Wienerwald ist er ideal für die Kultivierung edlen Weines.

Im Mittelalter waren es die Weinbauexperten der Zisterzienser, die die Meriten dieses außerordentlichen Terroirs zu nutzen wussten und den Weinbau zu einer regelrechten Hochblüte führten: die Augustiner- Eremiten in Baden und die Klöster Admont und Klosterneuburg, die schon 1120 Untertanen in Pfaffstätten hatten, weshalb dieses – die „Stätte der Pfaffen“ – zu „Pfaffstätten“ wurde. Auch heute betreiben hier die Stifte Melk, Heiligenkreuz und Lilienfeld ertragreichen Weinbau. Fast ausschließlich in der Thermenregion werden die Weißweinsorten Zierfandler und Rotgipfler kultiviert.

Am Sattelriegel entscheide ich mich für dessen Umrundung und picknicke zwischen den Rieden, die Landschaft betrachtend – und spüre bei diesem Innehalten umso mehr meine große Durchlässigkeit und Zuneigung „zu alledem“ …
Nach dem „Einstiegsturm“ Nummer 40 und dem Versorgerhaus der Wiener Wasserleitung geht es geradewegs zwischen Buschenschenken weiter Richtung Gumpoldskirchen. Was den Blick dabei wie magisch anzieht, ist das im Barock wiederaufgebaute Schloss Gumpoldskirchen – seit 780 Jahren im Besitz des Deutschen Ordens, heute ein (Seminar-)Hotel – und der Turm der gotischen Michaelskirche dahinter.

Über dem sonnigen Kirchenplatz mit Steinpflaster und gelben Kastanien liegt schläfrige Ruhe. Nur eine Libelle schwirrt über dem
Spiegelbild des Kirchturms im Teich. Bischof Gumpold von Passau, gestorben 932, war der Namenspatron des Ortes.

Heute reiht sich in dieser romantischen Pilgerstätte weinliebender Gäste aus aller Welt ein Heuriger an den nächsten. Berühmt ist sie vor allem für ihren Zierfandler und Rotgipfler.
Ich verspreche mir eine Kostprobe am Abend und biege am Kirchenplatz linker Hand ab, vorbei am Hotel Turmhof und dem Parkplatz, worauf ich von der Mödlinger Straße rechts in den „Wasserleitungsweg“ nach Mödling einschwenke.

Auch er führt bis auf das letzte Stück mitten durch Weinrieden und erinnert mit zwei weiteren „Einstiegstürmen“ an das Wiener Wasser. Zunächst verläuft er eher geradlinig, das Stiftsweingut Thallern oberhalb passierend, das, seit 1141 von Zisterziensern betrieben, zu den traditionsreichsten Weingütern Österreichs zählt!

Dann folgt eine deutliche U-Kurve, die mit ein wenig Auf und Ab und vielen Wechseln der Perspektive eine bezaubernde Landschaft darlegt.

Dort ist auch die (selbstredend auf einer blumigen, ins Jahr 1760 zurückreichenden Gründungslegende basierende) hellgelb gestrichene neugotische „Weingartenkapelle“, die die Bevölkerung auch heute samt Kreuzweg erhält.

Sehr erfreulich ist das stadtnahe, artenreiche Habitat Eichkogel, das ich am Rand seiner Halbtrockenrasen und Flaumeichenwälder quere. Es wird ganz offensichtlich sorgsam geschützt, geschätzt, gehegt und: beweidet!

Schließlich nehme ich den rechts abzweigenden, schmalen Erdweg hangabwärts und biege unten in den querlaufenden Feldweg links ein, woraufhin bald ein rosa- und ein lavendelfarbenes Wohnhaus das städtische Terrain Mödlings eröffnen. Schräg gegenüber führt die Weißes- Kreuz-Gasse stadteinwärts. Hier besteige ich den Bus zum Bahnhof Mödling, um bald darauf in Gumpoldskirchen einzukehren …

 

(c) Eva Gruber

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