Cover des Buches "Ayurveda" von Dr. Syal Kumar und Dr. Thomas Rampp.

Dr. Syal Kumar, Ayurvedaarzt in fünfter Generation, studierte die traditionelle Heilkunde in Indien, dem Heimatland der Ayurveda. Seine Mission: das bewährte Wissen nach Europa zu bringen. Er leitet das Institut für Traditionelle Indische Medizin, das der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Universität Duisburg-Essen angegliedert ist. Zum Erscheinen seines Buches Ayurveda – stark gegen Entzündungen haben wir ihn zum Interview gebeten.

Ayurveda spricht oft von einem ganzheitlichen Blick auf Körper und Geist. Wo sehen Sie den entscheidenden Unterschied zum westlichen Entzündungsbegriff?
Im Westen wird häufig das Symptom in den Vordergrund gestellt: Ein Symptom von Entzündung ist Schmerz, und Schmerz soll schnell beseitigt werden. Ayurveda fragt tiefer – warum ist die Entzündung überhaupt entstanden? Die Ursache liegt nicht nur im Körper, sondern auch im Geist, in Lebensstil und Ernährung. Statt Schmerzmittel zu verabreichen, setzt Ayurveda auf eine langsamere, dafür nachhaltige Heilung. Und: Jeder Mensch ist individuell. Zwei Patient:innen mit derselben Diagnose können völlig unterschiedliche Behandlungswege brauchen.

Viele Menschen suchen erst Hilfe, wenn Entzündungen chronisch geworden sind. Welche Rolle spielt Ayurveda in der Vorbeugung – und was kann der Einzelne im Alltag sofort umsetzen?
„Silent inflammation“, also stille Entzündungen, spielen eine zentrale Rolle. Ayurveda sieht Prävention als wichtigsten Schritt – noch bevor die Entzündung chronisch wird. Sofort umsetzen lässt sich eine bewusste Ernährung, angepasst an den individuellen Typ. Hinzu kommen Bewegung, ein ausgeglichener Tagesrhythmus und, falls notwendig, Kräuterpräparate, die traditionell eingesetzt werden.

Wenn man nur eine Sache verändern kann: Was raten Sie?
Es ist immer individuell – für manche ist die Ernährung der entscheidende Schlüssel, für andere Stress oder Schlafmangel. Mein wichtigster Rat lautet daher: genau hinschauen. Oft übersehen wir die eigentlichen Ursachen. Ayurveda hilft dabei, diese sichtbar zu machen.

    Kritiker werfen Ayurveda mitunter vor, zu traditionell oder nicht evidenzbasiert zu sein. Wie begegnen Sie diesem Vorwurf – und wo sehen Sie die Brücke zur modernen Medizin?
    In Indien wird Ayurveda seit Jahrzehnten intensiv erforscht. Es gibt Hunderte Publikationen, wir haben allein hier über 25 Artikel in Journals publiziert. Universitäten und die indische Regierung fördern diese Forschung massiv. In Europa ist das Wissen darüber noch wenig verbreitet – aber die Brücke ist längst da: Viele Ergebnisse bestätigen das, was Ayurveda seit Jahrtausenden lehrt.

    In welchen Bereichen zeigen ayurvedische Ansätze Ihrer Erfahrung nach die größten Behandlungserfolge – und wo stoßen sie an ihre Grenzen?
    Sehr gute Erfolge sehen wir bei entzündlichen Erkrankungen des Verdauungssystems, der Haut, der Gelenke sowie bei Autoimmunerkrankungen. Auch psychosomatische Krankheiten, chronische Müdigkeit, Post-Covid oder metabolische Syndrome stehen in engem Zusammenhang mit stillen Entzündungen – hier kann Ayurveda wirksam ansetzen. Grenzen gibt es dort, wo akute Notfallmedizin gefragt ist. Dennoch bietet Ayurveda mit seinen eigenen Diagnosemethoden einen Zugang, der den ganzen Menschen und alle betroffenen Gewebe und Elemente berücksichtigt.