Ich habe mir die Raacher Bergwelt bedrohlicher ausgemalt.

Otter, Wechsel und Sonnwendstein bilden einen tief verschneiten Halbkreis aus Bergen um den Ort. Andere Winterwanderer holen jetzt ihren Flachmann heraus und nehmen einen Schluck Whisky gegen die Kälte, ich ziehe die Luft durch meine Nase ein, schließe die Augen und gehe die ersten paar Meter in den Ort voraus.

Nach dem Seminarzentrum wandere ich rechts in den Wald hinauf. Auf der schmalen Asphaltstraße passiere ich bald den Waldfriedhof, der in den Sagen des Wechsellandes eine kleine Rolle spielt. Von hier bricht nämlich die Tochter eines Almbauern zum heimatlichen Hof auf, verirrt sich aber auf der Höhe des Kampsteins, weil sie versehentlich auf eine Irrwurzen tritt und nun in der Bergwildnis, der sogenannten »Teufelswirtschaft«, ihren eigenen Fußspuren im Schnee folgt. Das Märchen führt mir vor Augen, dass früher weite Strecken zu Fuß zurückgelegt wurden und auch, dass selbst die Einheimischen auf den Bürstlingsrasen und in den Fichtenständen ihrer Heimat mitunter die Orientierung verloren.

Die Straße führt über eine bewaldete Anhöhe in einen Sattel hinab zu einer Weggabelung bei einer kleinen Kapelle. Der Weg teilt sich, die beiden Äste umschließen die Streusiedlung Egg und finden am Ramssattel wieder zueinander, wie die Arme einer Inselgöttin. Der Eggerrundweg erschließt dieses Gebiet. Ich laufe nach links und folge der grünen Markierung. Ein abschüssiges Waldstück bringt mich zum Weiler Dobler. Nach einer Rechtskurve – hier zweigt der Eggerrundweg zur Burg Kranichberg ab – schwingt sich die Straße zu einer steilen Waldgeraden auf. Die Steigung nimmt bald ab. Ich passiere ein rotes Holzkreuz vor einem Gehöft. Eine ausgiebige Hangquerung später stehe ich vor der Ortseinfahrt von Rams, und an einer weiteren Weggabelung. Von hier aus sind Generationen von Kirchgängern, Heiratswilligen, Bittstellern und Hungrigen nach Kirchberg am Wechsel oder bis Otterthal abgestiegen. Für Letztere ist auch der Ramswirt ein naheliegender Grund für einen längeren Aufenthalt.

Ich will zurück nach Raach. Das bedeutet: die Rechtskurve kratzen und den Wanderweg 834/901 A (rote und gelbe Markierung) nehmen. Die asphaltierte Straße geht in einen Karrenweg über, ein Überbleibsel des alten Weinwegs. Die Spuren führen geradewegs in einen Fichten-Buchen-Bergwald hinein. Der Hohlweg leitet meine Schritte auf den Kamm eines Höhenrückens. Statt einer Steigspur erwartet mich ein 2 bis 4 m breiter, ebener Waldweg. An den wenigen Steilstücken steht der felsige Untergrund an, doch es gibt keine Fahrrillen im Gestein. Endlich weicht der Wald einer Allee mit Aussichtsbankerl. Jetzt hole ich den Flachmann heraus. Die weißen Gebirgsstöcke des Wechsels und des Stuhlecks blinken in der Wintersonne; der Felskegel des großen Pfaff spitzelt zwischen den Bergrücken hervor.

Ein Hohlweg lenkt die Spitzen meiner Wanderschuhe hinab zu der kleinen Kapelle, wo sich die Waldschneise mit der zum Doblerhof führenden Straße vereinigt. Ich überlasse das Gehen meinen Stiefeln und fange Schneeflocken mit der Zunge auf. Der Weinweg, die alte Handelsroute, auf der Weinwagen vom Wiener Becken ins Steirische oder »va int auffe« (mundartlich: »von Ungarn kommend«) transportiert wurden, liegt heute abseits aller großen Fernstraßen. Ich labe mich mehr und mehr an dieser Abgeschiedenheit.