Bäume sind Individuen, sagt Peter Wohlleben und kein Baum ist wie der andere. Manche bekommen schon früh Falten und Risse, andere bewahren ihre glatte Rinde bis ins hohe Alter. Nirgendwo kann man diese fas-zinierende Vielfalt besser studieren als im Wienerwald. Eine kleine Wanderung in der Kernzone „Hoher Lindkogel“ des Biosphä-renparks Wienerwald führt uns dies eindrucksvoll vor Augen. Hier wächst, geschützt vor dem zerstörerischen Eingriff des Menschen, der Urwald von morgen heran.

Unser Ausgangspunkt ist die Jausen­station Haidlhof in Bad Vöslau. Wir wandern ein kurzes Stück auf der asphaltierten Straße und biegen dann rechts in die Forststraße ein, die uns vorbei am Färberkreuz und an der Färberkreuzhöhle zur Burgruine Merkenstein und Schloss Merkenstein führt. Um die durch den Wald angelegte Forststraße nicht zu gefährden, hat man hier einige Bäume umgeschnitten und diese auf dem Boden liegend zurückgelassen. Der aufmerksame Wanderer wird auch den deutlichen Unterschied zwischen Sommer und Winter erkennen. In den kalten Wintermonaten sehen wir zwischen den kahlen Ästen schon die Burgruine Merkenstein durchragen. Nach dem ersten starken Frühlingsregen verwandelt sich jedoch der schüttere Wald in einen dichten Urwald. Zwischen den üppig mit Blättern bestückten Bäumern sprießen Unkraut und Brennnesseln empor. Der Wald zeigt sich als dichter, fast undurchdringlicher Dschungel und die Burg wird zum unsichtbaren Dornröschenschloss. 

Rechts und links vom Weg haben wir Gelegenheit, umgestürzte Bäume und abgestorbenes „Totholz“ zu studieren. Zahlreiche Pilzarten, Insekten, Vögel wie der Weißrü-ckenspecht und sogar Fledermäuse haben hier ihren Lebensraum. Die im Absterben begriffenen Buchenstämme sind bei Alpen-bock-Weibchen besonders beliebt: Die auf-fällig blauen Käfer legen hier ihre Eier ab, aus denen Larven schlüpfen, die sich drei bis vier Jahre lang (!) durch das Totholz fressen. 

Unmittelbar vor dem Zaun, der das Gelände des Schlosses Merkenstein begrenzt, halten wir uns rechts, passieren eine Schranke und wandern entlang der Mauer des Schlosses weiter in Richtung Schutzhaus Eisernes Tor am Hohen Lindkogel. Der Weg, auf dem wir uns bewegen, erlaubt es uns, immer wieder einen Blick in das heute be-wohnte Schlossareal zu werfen. Schon nach wenigen Minuten erreichen wir eine idyllische Waldwiese, auf der zur linken Hand vor einer Forsthütte ein gewaltiger Baumriese unsere Augen auf sich zieht: Eine altehrwürdige Weißbuche, die „Große Mutter“ die-ses Waldstückes, ragt hier in den Himmel. Flankiert von zwei  kleineren Buchen und einer riesigen Schirmföhre steht sie hier als eindrucksvoller Vertreter ihrer Art. Auch im Wienerwald ist ein Großteil der Baumbestände relativ jung, doch dieser zerzauste Baumveteran ist uralt. Der knorrige, von Rissen durchfurchte Stamm der Buche mit sei-nen dicken Wülsten – zwei Menschen können ihn nicht umspannen – hat wohl schon einige Jahrhunderte ins Land gehen sehen. Als wahrer Methusalem des Wienerwaldes wacht er Wind und Wetter trotzend über die stille Lichtung.

Wer sich fit und konditionsstark fühlt,  kann nun den Weg weiter zum Schutzhaus Eisernes Tor nehmen. Im Winter, wenn der Schnee dicht und hoch den Waldboden bedeckt, empfiehlt sich hier eine Schneeschuhwanderung – ein besonderes  High-light! Wer lieber noch einen genaueren Blick auf die Burgruine Merkenstein werfen möchte, dreht hier nach einer kurzen Rast auf der Wiese um, und wandert zurück zur sagenumwobenen Feste, einem magischen Lost Place der fernen Ritterzeit.

Charakteristik:   
Erholsame, leichte Wanderung  ohne besondere  Anforderungen
Gesamtgehzeit:  
Etwa 1,5 Stunden